Tag 74 / Sa 20.10.2018 / Fahrt nach Olvera
(Cornelia) Beim Beladen des Autos regnet es zum Glück gerade nicht. Dafür laufen wir in Medina Sidonia (ebenfalls einem ‚pueblo blanco‘) bei Regen los und steigen zur Kirche auf. Sie ist „Nuestra señora la coronada“, also der gekrönten Jungfrau Maria, geweiht und war früher eine Moschee, was man an vielen Details im Mudéjar-Stil noch erkennen kann. Hier kann ich nicht umhin, die vielen Marien-Darstellungen als z. T. mannshohe Puppen im Bild festzuhalten; manche erinnern an Schaufensterpuppen, manche haben auch feinere Gesichter; die meisten sind mit feinen Stoffen gekleidet. Bemerkenswert ist noch eine Bank, auf der dazumal das Inquisitionsgericht saß. Als es zu regnen aufhört, belebt sich auch das Städtchen. Gerade rechtzeitig vor einem heftigen Gewitterschauer verlassen wir Medina Sidonia.
Bei schwachem Regen erreichen wir Arcos de la Frontera. Kastell, Ausblick, enge Altstadt, steile Gassen. Wir ahnen noch nicht, dass später Sturzbäche an Regenwasser die Gassen hinunterfließen und unsere Hosenbeine bis zu den Knien nass sein werden… Wieder schützt eine Gaststätte uns vor Wetterunbill (tja, da kann man nichts machen…!) – es gewittert heftig. Der Regen prasselt so auf den überdachten Innenhof eines Stadtpalasts, dass selbst die Kellner zweifelnd nach oben blicken. Auch ins Parkhaus (U1) fließt Regenwasser… Später hören und sehen wir in den spanischen Nachrichten, dass die Nachbar-Provinz Valencia am stärksten betroffen ist und in einer Stunde knapp 250 Liter Regen pro qm abbekommen hat. Huh! In unserer Provinz, Cádiz, sollen nur um die 30 Liter gemessen worden sein. Immerhin ist es ein positiver Nebeneffekt, dass unsere vom Strandgang schmutzigen Schuhe picobello sauber sind.
Als wir nach einer Fahrt durch von Olivenbäumen bestandene Hügelketten Olvera erreichen, regnet es gerade etwas weniger. Paco, der freundliche Hausbetreuer, weist uns den Weg durch die engen Gassen. Das Auto muss einige Ecken und Höhenmeter weiter auf dem Kirchplatz geparkt werden. Unser Haus liegt mitten im Oberdorf eines pueblo blanco, ist wunderschön renoviert und hat zwei Terrassen. Fehlt nur noch die andalusische Sonne… aber das wird schon wieder werden!
Tag 79 / Do 25.10.2018 / Ronda
(Cornelia) Kaum haben wir Olvera auf der alten Straße nach Ronda verlassen, müssen wir schon nach nur zwei Kilometern an einem Wallfahrtsort anhalten: Hier ‚lebt‘ die Virgén de Olivera, die uns Paco gleich am ersten Tag sehr ans Herz gelegt hat: Gaaanz wichtig!
Die Ermita ist recht groß: Es gibt einen Patio voller Grünpflanzen und mit arabisch anmutenden Fliesen, den sog. Azulejos, mehrere Andachtsräume, z. T. voller echt-flackernder Kerzen (oft sieht man nur elektrisch-flackerndes Pseudokerzenlicht) und viele Votivbilder: Farbe auf Holz, aus Metall ausgestanzt, Babypuppen (Jesuskind?) in allen Größen und einen Raum mit gerahmten Fotos, Kleidchen und T-Shirts und allem, was halt so als Votivgabe dienen kann – dieser Raum wird allerdings einmal pro Monat leer geräumt, wie uns ein Schild sagt. An der Schwelle zum eigentlichen Kirchenraum hält eine Ministranten-Puppe die Hand auf – Wunder gibt es halt nicht zum Nulltarif. Kurios ist ein Fresko mit Engeln, die eindeutig wie andalusische Frauen daherkommen. Die Virgén hat, wie in zahlreichen Kirchen, einen silbernen Strahlenkranz und ist hell beleuchtet. Wir wollen die Betenden nicht länger stören und gehen zum Auto.
Die alte Straße nach Ronda ist sehr kurvenreich, z. T. noch schlammig wegen der Regenfälle im Bezirk Málaga und hat viele als gefährlich bezeichnete Kurven, in denen man manchmal auf 20 Stundenkilometer abbremsen soll (laut Schild – täte man es, riskierte man einen Auffahrunfall….) Weiter Blick auf weite Landschaft wechselt mit sehr engen Dorfdurchfahrten ab.
1984 gelangte ein „Carmen“-Opernfilm in die deutschen Kinos, mit Julia Migenes als Carmen und Placido Domingo als Don José. Er war in Ronda gedreht worden – und seitdem spukte dieser Ort schon in meinem Kopf herum.
Der erste Gang führt uns zur Stierkampfarena, wo die Oper endet. Die Torero-Familie Romero aus Ronda hat für ein ordentliches Regelwerk gesorgt – und das schon im 18. Jahrhundert! Goya hat den Stierkampf in vielen Zeichnungen festgehalten und in neuester Zeit bittet man namhafte Künstler darum, Plakate für die Stierkämpfe zu entwerfen. Die im Museum ausgestellten Kostüme sind reich verziert und bestickt, wenngleich gewissen Moden unterworfen. Die Umhänge, die die Matadore bei ihrer Ehrenrunde durch die Arena vor dem Kampf tragen, erinnern sehr an die Messgewänder, die wir schon in vielen spanischen Sakristeien gesehen haben (Behauptung ohne Beweisfoto – im Museum ist Fotografieren nicht erlaubt). Die Wettkampfsaison ist gerade zu Ende gegangen (März bis Oktober), die Stiere dürfen erst mal weiterleben… Die Kampfstiere sind meist drei bis vier Jahre alt, bevor sie ihren ersten (und einzigen) Kampf austragen; es gibt Kämpfe zu Fuß oder zu Pferde, weswegen die Stadt Ronda auch eine berühmte Reitschule unterhält (die ‚Real Maestranza Ronda‘, deren Anfangsbuchstaben RMR auch die Schutzwände der Arena zieren). Bevor die Arena Ende des 18. Jahrhunderts gebaut wurde, trug man die Stierkämpfe auf der Plaza Mayor in der ehemals arabischen Altstadt aus; die Würdenträger standen, vor Angriffen der Stiere sicher, auf einem erhöhten Balkon, und auch in der heutigen Arena gibt es noch – wie im Nationaltheater in München – eine Königsloge, nur ‚los Reyes‘, dem Königspaar, vorbehalten.
Da mein seit 80 Tagen im Dauereinsatz befindlicher (billiger) Rucksack seinen Geist aufgibt, kommen mir die vielen Souvenir-Läden Rondas gerade recht; schnell finde ich Ersatz - uff, die Reise kann weitergehen…
Wir schlendern zur Brücke, die von Franzosen, Amerikanern und Asiaten schon ‚besetzt‘ ist, und erhaschen einen Blick in die beeindruckende Tiefe der Schlucht: Zwar kann man an dieser Stelle nicht bis auf den Grund sehen, aber man hört das Wasser ganz weit unten rauschen. Die Neue Brücke wurde im 19. Jahrhundert gebaut und ermöglichte ab da einen kurzen Weg vom ursprünglich arabischen Stadtteil zu den damaligen Vororten, dorthin, wo sich das heutige Ronda ausgedehnt hat (35 000 Einwohner). Wirklich beeindruckend! Vorher gab es nur die Römische Brücke und die Alte Brücke, die aber an weniger spektakulären Stellen stehen und nicht so hoch sind. Später hätten wir noch die Gelegenheit gehabt, über eine einstmals geheime Treppe 300 Stufen in einem Brunnen zum Flussufer hinabzusteigen; nach ein paar Stufen schon wird es recht nass und rutschig, so dass wir davon absehen. Auch die Hängenden Gärten sind in einem schlechten Zustand (wie der ganze Palast „Casa del Rey Moro“, der gerade renoviert wird und der wohl schier am Verfallen war; er scheint das Domizil mehrerer Pfauen zu sein, die auf der Baustelle ein- und ausgehen und die von uns gesichteten Bauarbeiter an Zahl übertreffen... ), dafür werden wir in der Kirche „Santa Maria la Mayor“ von einer breiten Aussichtsplattform Kirchenschiff-Höhe überrascht, die einen schönen Rundblick auf Ronda bietet. Der Platz vor der Kirche diente früher zu Stierkämpfen (s.o.), ist heutzutage aber von Bäumen bestanden. Die Kirche wurde auf die ehemalige Moschee gesetzt (nur noch wenige mit arabischen Schriftzeichen verzierte Bögen aus der Nasriden-Zeit sind übrig), das Minarett in der Renaissance zum veritablen Kirchturm aufgestockt. Die Stadtmauer aus arabischer Zeit ist dagegen gut erhalten. 600 Jahre konnten sich die Araber in Ronda halten, bis es zur Reconquista kam.
Über die neue Straße sind wir schnell zurück und kommen gerade rechtzeitig zu einem herrlichen Sonnenuntergang, den wir – man ahnt es schon… - von der zweiten Terrasse aus mit einem Glas Sekt in der Hand verfolgen.
Tag 81/ Sa 27.10.2018 / Olvera
(Cornelia) Die Postbeamten in Spanien sind sehr behäbig, dennoch müssen wir mal wieder auf die Post, weil wir Claudia und Judith etwas schicken wollen. [Wir hoffen, ‚es‘ gefällt euch…] Nach langer Wartezeit – immerhin eine Kundin vor uns! - gelingt der Versand, und wir haben das dringenden Gefühl, uns für das Warten mit einem Kaffee belohnen zu müssen. Wie so oft in Spanien sehen die Cafés/Bars von außen nach Spelunke aus, öffnen sich dann aber nach hinten meist zu schön dekorierten Räumen, häufig mit arabischen Mustern und vielen (künstlichen) Pflanzen. Manchmal sind auch, wie hier in „El Patio“, Innenhöfe überdacht; im Sommer kann man das Glasdach öffnen und Stoffbahnen sind als Sonnenschutz angebracht. Im Winter genießt man das Oberlicht.
Wir nehmen nicht den direkten Weg zurück. (Ohne Tom wäre ich verloren oder bräuchte einen Kompass oder zumindest Brotkrumen wie Hänsel und Gretel – das Gassengewirr will, obwohl ich sonst mit einem guten Orientierungssinn ausgestattet bin, nicht in meinen Kopf; manchmal geht es nämlich erst aufwärts, obwohl man eigentlich runter möchte – daran liegt es, glaube ich.) Wir blicken auf den Ort. Kurioserweise stehen auf dem Platz neben den Buchstaben von Olvera und einem Kunstwerk auch noch zwei Bänke in Lila und Rosa, die in ein paar Sätzen auf die Gender-Problematik anspielen (wir sind doch im katholischen Spanien!!). Die Kirche ist gerade offen, und der Monsignore, den wir eben noch im schwarzen Anzug über die Gasse eilen sahen, spricht schon im vollen Ornat und sehr laut ins Mikrofon. Etwa 30 Gläubige besuchen den Gottesdienst am Samstag Mittag. Daneben liegt auch noch das Tourismus-Büro, in dem sich ein kleiner Laden verbirgt, der neben Kitsch auch Lebensmittel aus der örtlichen Produktion anbietet (Öl, Oliven, Marmeladen usw.). Als wir uns gerade entschließen, dem Museum doch noch einen Besuch abzustatten, schließt es.
Macht nix, wir wohnen ja um die Ecke. Am Nachmittag – eigentlich sollte es laut Wettervorhersage längst regnen – ist es immer noch schön, aber es bläst ein kräftiger Wind. Das kleine Museum widmet sich mit einigen Bildtafeln, aber auch mit Schaukästen und Inszenierungen der Besatzung durch die Araber. Auf einer Schautafel wird schön gezeigt, wann und wo sich die Mauren aufgrund verschiedener Versuche der Rückeroberung durch die Christen zurückziehen mussten; wir begreifen auch, warum es gerade im Südwesten so viele Ortsnahmen mit ‚de la frontera‘ gibt: Diese Orte waren am längsten arabisch besetzt und bildeten die Grenze.
Offenbar wurden wir videoüberwacht, denn noch bevor wir das Museum verlassen, holt uns der Herr von der Kasse ab und öffnet uns die Türe zur Burg. Gut, kostet nicht mehr als ein paar Schritte nach oben.
Die Burg überrascht uns dann doch: Steile Treppchen für die Besichtigung, Türmchen mit Schießscharten und vor allem ein unglaublicher Ausblick ringsherum. Tom spielt Entdecker und erschließt die Wege. Der Wind bläst immer noch kräftig und schiebt die Wolken voran. Unten angekommen nehmen wir noch die Türe rechts der Pforte zur Burg: Sie führt zum Friedhof, auf dem man – Allerheiligen kann kommen – dabei ist, die Steinplatten der Gräber zu putzen und frische, d.h. nicht ausgeblichene, Plastik- und Stoffblumen in die Vasen zu stellen. Wie üblich in südlichen Ländern herrschen Urnenwände vor.
Durchgefroren – und wohl wissend, dass es auch in unserem ‚castle‘ ziemlich kühl ist – statten wir den Belgiern in ihrer Bar einen Besuch ab – schließlich gibt es noch weitere Desserts zum Probieren, z. B. Poffertjes, eine Art kleiner Kissen aus Pfannkuchenteig, frisch zubereitet. Zuhause lassen wir die Klimaanlagen Warmluft blasen, bis es den Köpfen zu heiß wird. Frischluftnachschub gibt es aus den undichten Fenstern… (Stand da nicht was von ‚Zentralheizung‘ auf der Seite von fewo-direkt? Richtiger wäre, wenn überhaupt, der Begriff ‚Dezentralheizung‘, denn von drei Klimageräten funktioniert dasjenige im ersten Stock nicht, weswegen wir hoffen, dass die warme Luft der Treppe in den ersten Stock folgt.)
Tag 83/ Mo 29.10.2018 / Écija und Osuna
(Cornelia) Noch in Jaca hatten wir im zweiten spanischen Fernsehen einen Dokumentarfilm über Römerstädte südlich von Córdoba gesehen. Allerdings fiel auf, dass das Römische offenbar nur Anlass für den Film war, dann aber mehr und mehr in den Hintergrund trat. So verhielt es sich mit Écija, einer Stadt von 41 000 Einwohnern, 92 Kilometer nordöstlich von Olvera in einer fruchtbaren Ebene gelegen: Da die iberische Stadt, damals ‚Astigi‘, Julius Caesar in einer nahen Schlacht tapfer zur Seite gestanden hatte, gründete er sie als ‚Colonia Iulia Firma Astigitana‘ neu; später kamen die Westgoten, und 711 wurde die Stadt von den Mauren erobert und in El-Andalus eingegliedert. Die Stadt wurde immer wieder umgebaut, weswegen wohl von römischer Zeit kaum Zeugnisse geblieben sind oder nicht zur Schau gestellt werden. Nur ein Restchen der Römerstraße und ein Stückchen Fundament der ehemaligen Bäder sind auf der Plaza de España sichtbar.
Was uns aber hauptsächlich nach Écija in der Provinz Sevilla lockt, ist nicht die Römerzeit, sondern der Barock: Als aufgrund des Erdbebens von Lissabon weite Teile der Stadt zerstört waren, hat man sie neu aufgebaut und gemäß der neuen Mode mit vielen Portalen geschmückt. Vor allem aber ist die Stadt für ihre zwölf Kirchtürme bekannt, einer schöner als der andere, wie wir mit eigenen Augen sehen können. Die Gegend gilt übrigens als ‚Bratpfanne Andalusiens‘, weil es dort im Sommer oft zwischen 45 und 50 Grad heiß ist. Heute ist es dort wärmer als in Olvera (am Morgen 4 Grad!), 16 Grad im Schatten, in der Sonne sehr angenehm. Ein freundliches, unaufgeregtes Städtchen, ohne Tourismus (wir sind die einzigen Fremden…). Das Museo Municipál soll sehr schöne Mosaiken beinhalten, ist aber montags geschlossen – keine Enttäuschung, das wussten wir vorher. Wir haben unsere Freude an den sauberen Gassen, einem sehr schönen Marktgebäude, den bunt verzierten Türmen.
Apropos Marktgebäude… Sicher kennt manch einer die Spalte in der ZEIT, in der die Leser grauslige Übersetzungsfehler anprangern. Ich könnte ein Schild einsenden, das dem deutschen Touristen die Geschichte des Marktes erklärt.
Ich zitiere: „Der städtische Markt von Vorräte von Ecija Daten von 1817 und es wird in einem alten klösterlichen Jesuiten gefunden. Es ist ein Gebäude von unregelmäßig, aber vernünftig quadratische Pflanze, von Dimensionen 55 x 60 Meter, die um ein zentrales Quadrat, das von vier Schiffen oder Körpern herum gebildet wird, wo die Positionen zu beiden Seiten des Korridores eingesprungen werden, der mager auf den Eisen von Zink. Die Türen, die sie in der Fassade mit Kranzgesims und Dekorationen um das Gewölbe von Hälfte Punkt, der das Loch der Türen bildet, herausgeragt werden. Im Market können rein typische Details der Andalusian Architektur in den richtigen Grills geschätzt werden, die Gewölbe Hälfte Punkt und Sie beenden von ihnen vom Gebäude. Es nimmt groben Teil eines Apfels im städtischen Helm ein, der von den Straben Kompania, Moreria, Carcel, Eslava, Recogidas und Mas y Prat definiert wird. [...]“
Auf der Rückfahrt halten wir in Osuna (Provinz Málaga). Auch Osuna wurde in dem o.g. Dokumentarfilm erwähnt; es wurde 40 v. Chr. als eine Kolonie für römische Veteranen gegründet. Schon vor den Römern hieß der Ort ‚Urso‘, unter den Mauren Ûsuna. Reste eines Amphitheaters befinden sich heute aber auf Privatgrund und um zur Nekropole zu gelangen, bräuchte man ein Allradfahrzeug. Was ich zunächst für römisch halte, stellt sich als einer von mehreren stillgelegten Steinbrüchen heraus – neuerdings eher als Müllhalde benutzt, mit alten Autositzen und anderem Unrat.
Die Alte Universität, deren vier Ecktürmchen dem Renaissance-Klotz ein eher muslimisches Aussehen geben, befindet sich ganz oben, im alten Teil des 17 000-Einwohner-Städtchens. Die riesige Kollegiatkirche ist geschlossen, ebenso der ‚Convento de la Merced‘. [Wer schon einmal vom Orden der Mercedarier gehört hat, möge sich bitte bei mir melden…! - Wikipedia sagt mir, dass der Orden Mitte des 16. Jahrhunderts gegründet wurde, um Sklaven freizukaufen. Heute betreut er Schulen und karitative Projekte, die sich ‚gegen neue Formen der sozialen, politischen und psychologischen Sklaverei‘ richten – wow!] Der zugehörige Turm ist jedenfalls toll, auch weil der Himmel heute von einem unglaublichen Tiefblau ist.
Durch immer mehr Hügel in allen möglichen Formen, oft mit Olivenbaum-Pflanzungen, fahren wir nach Olvera zurück. Meist ist die Erde unter den Ölbaumen rot-, mittel-, hell- oder dunkelbraun, manchmal schimmert sie aber in einem überraschenden Giftgrün: Durch den Regen wächst junges Gras und färbt das Land.
Tag 86/ Do 1.11.2018 / Córdoba
Endlich nach Córdoba! Schon beim Vorbereiten staune ich: Erstens, der römische Philosoph Seneca ist in Córdoba geboren (gestorben 65 n. Chr. in Rom)! Zweitens: Auch Maimonides (Philosoph, Rechtsgelehrter und Arzt), ebenfalls unter dem jüdischen Namen RaMBaM bekannt, ist ebenfalls hier geboren (unklar, wann: zwischen 1135 und 1138); leider waren die Almohaden, die Córdoba 1141 eroberten, sehr intolerant, so dass sich die jüdischen Eltern Maimonides‘ zum Auswandern entschlossen. Als wir vor ein paar Jahren in Israel u. a. am See Genezareth waren, standen wir vor RaMBaMs Grabstätte in Tiberias, das fast den Charakter eines Ortes frommer Wallfahrt hatte.
Es ist Allerheiligen und der Ausblick aus unserem Fenster zeigt sich nebelig-verhangen; ganz Olvera scheint auf den Beinen und trägt Blumensträuße und Gestecke zum Alten und zum Neuen Friedhof. Bis zum Abend wird der Verkehr umgeleitet und von Polizisten geregelt; als wir gegen 20 Uhr zurückkommen, herrscht immer noch Hochbetrieb! [Am Sonntag nach Allerheiligen wird mir mein Vater am Telefon erzählen, dass der Waldfriedhof seine Pforte schon mit Sonnenuntergang, also um 17 Uhr, schloss. Trotz Hochbetriebes...]
In Córdoba scheinen auch alle Einheimischen die Friedhöfe zu besuchen, jedenfalls bewegen sich im Zentrum der Stadt NUR Touristen, meist Franzosen. Da am Feiertag spezielle Öffnungszeiten gelten, hat jetzt der Alcazar geöffnet, später dann die Moschee-Kathedrale.
Drangvolle Enge herrscht nur auf den Treppen im Palastinneren; hinten im prächtigen Garten oder beim letzten der Wasserbecken ist man fast alleine. Der Palast selbst wird als Ausstellungsraum für römische Mosaiken und einen Sarkophag benutzt. Eindrucksvoller ist der Innenhof mit Orangenbäumen und Brunnen, vor allem die Arabischen Bäder mit ihren sternförmigen Lichtöffnungen. Zum Glück sind wir unverhofft hier angelangt: Sieht toll aus. Beschriftung oder gar Leitlinie? Fehlanzeige.
Der Park muss vor allem im Frühjahr ein Traum sein, aber auch jetzt im Herbst blüht noch einiges. Die Wasserbecken sind von leuchtend-gelben Tagetes gesäumt, rote Rosen blühen, die Eiben sind frisch geschnitten und der Buchsbaum-Zünsler ist ganz offensichtlich auch noch nicht vorbeigekommen... Der Park hat eine sehr fröhliche Ausstrahlung – man hält sich gerne dort auf.
Die römische Brücke ähnelt – wen wundert‘s? - den römischen Brücken in Salamanca und Mérida, zählt aber auch zu den Wahrzeichen Córdobas. Wichtig für die Stadt war vor allem der Fluss, der Rio Guadalquivir. Im 14. Jahrhundert war Córdoba die größte Stadt Europas, mit 250 000 Einwohnern (heute etwa 330 000 EW), und war darüber hinaus das kulturelle Zentrum Europas; auch der Stand der Medizin war mehr als fortschrittlich, die Universität berühmt.
Größtes Zeugnis der langen Zeit unter verschiedenen arabischen Herrschern – knapp 800 Jahre - ist die Mezquita (span. ‚Moschee‘), die außen wenig verziert ist und sogar, wenn man vom Fluss her kommt, ein wenig an ein riesiges Lagerhaus erinnert. [Siehe Bauplan, dem Reiseführer entnommen.] Vor den automatischen Kassen stehen nicht so viele Leute an; bald dürfen wir eintreten. Welch ein Anblick! Der Reiseführer schwärmt von einem ‚Säulenwald‘ - und er hat Recht: 850 Säulen tragen mit rotweißen Bögen die Decke (90 weitere fielen dem Kircheneinbau zum Opfer…). Bögen, wohin man auch sieht. Schade nur, dass genau in der Mitte der – einst größten - Moschee des Abendlandes eine riesige Kirche eingebaut ist. Und nicht nur das: Aus Gründen der Machtdemonstration wurde auch an allen Außenwänden Kapellen und Altäre eingebaut. 2004 wurde gefragt, ob die Muslime Córdobas die Moschee wieder als Gebetsraum nutzen könnten – das hat der damalige Papst, Johannes Paul II., abgelehnt.
Wir wenden uns dem wichtigsten und prächtigsten Raum der Moschee zu, dem Mihrab. Wunderschöne Mosaiken mit Pflanzenmotiven und Koransuren gaben die Gebetsrichtung an. Die Verzierungen und Ornamente an Wänden, Decken, Säulen und Bögen sind herrlich. Übrigens wird die Mezquita von auffällig vielen muslimischen Paaren und Familien besucht.
Ein im arabischen Stil schön dekoriertes Restaurant zieht uns an, weil im Eingangsbereich Torten in der Kühlung stehen. Wir probieren dann aber doch eine lokale Spezialität, die man nur an Allerheiligen zubereitet (Rezept dazu später im Food Blog, der leider immer noch im Planungsstadium ist… sorry!) Vom Restaurant aus hat man außerdem noch einen guten Blick auf eine sehr schmale Gasse, die mit so vielen Blumentöpfen geschmückt ist, dass sie, als Calleja de las flores sogar in den Reiseführern erwähnt wird. Ihre geringe Breite erinnert an die engste Gasse Amsterdams – nein, danke, da müssen wir uns nicht mit Dutzenden anderer Leute durchzwängen… Kaum entfernt man sich von der Mezquita, wird es ‚luftiger‘: Viel weniger Touristen! Wir entdecken nette Ecken, sehen gotische Fenster in renovierten Häusern, finden auch das Maimonides-Denkmal (Hände und Schuhe ‚abgewetzt‘, offenbar garantiert Glück bringend) und sehen Senecas Statue vor der goldgelb leuchtenden Stadtmauer. Danach treffen wir auf eine sehr hübsche Kapelle im Mudéjar-Stil, die dem Hl. Bartholomäus geweiht ist; eine riesige Palme steht im kleinen Innenhof, die Wandfliesen nutzen die ganze Farbpalette von Blau und Grün – wunderschön! Ach, es gäbe noch viel zu sehen, aber vor uns liegen auch noch zwei Stunden Fahrt nach Olvera. Ein Sonnenuntergang, der die Landschaft lange in Orange-Rot-Töne taucht, dient als Live-Kino – toll!
Tag 87/ Fr 2.11.2018 / Antequera
(Cornelia) Eigentlich wollen wir heute eine Wanderung durch eine Landschaft bei Antequera machen, dem Naturpark El Torcal. Weil die Wolken sehr tief hängen, tritt dann aber Plan B in Kraft… Zunächst zu den Dolmen, auf Spanisch im Plural ‚dólmenes‘. Sie stammen aus der Megalith-Kultur und dienten dem Totenkult, evtl. auch einem Sonnenkult. Was im Reiseführer eher dröge klingt, stellt sich als sehr interessant heraus: Zuerst sehen wir einen kleinen animierten Film, der plastisch werden lässt, wie unglaublich anstrengend es für die ganz Dorfgemeinschaft gewesen sein muss, die riesigen, tonnenschweren Steine für die Seitenwände und Deckplatte des Dolmens zu schlagen; alle waren wohl damit beschäftigt. Warum die Dolmen von Antequera ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurden, hängt mit der archäo-geologischen Situation zusammen. Ein englischer Forscher konnte nachweisen, dass die damaligen Menschen wegen eines über 800 Meter hohen Berges genau hier sesshaft wurden; der Berg hat die Form des Kopfes eines liegenden Menschen (indianer-ähnlich) und hat die mythische und rituelle Aufladung der Landschaft ausgelöst. Der eine Dolmen liegt genau in der Sichtachse zum Berg, der zweite bezieht sich auf den Sonnenstand zur Tagundnachtgleiche, der dritte verweist auf das heutige Naturschutzgebiet El Torcal. Besonders Tom ist nachhaltig von den Dolmen und den Tumuli beeindruckt.
Als wir ankommen, ist gerade Steinzeit-Remmidemmi; eine kleine Gruppe von Menschen im Fred-Feuerstein-Look zieht gerade auf Trommeln schlagend und Flöte pfeifend zum größeren der beiden Dolmen (Menga) und führt innen ein kleines Spektakel auf, bei dem es nach Weihrauch riecht und die Akteure so tun, als könnten sie nur einige Worte sprechen. Es wirkt ein wenig sektenhaft – so etwas kennt man auch aus der Bretagne, wo sich die Druiden treffen…
Antequera hat eine kulinarische ‚specialidad‘: Man stelle sich einen Becher stark gezuckerten Mandelteig mit viel Zimt vor… ‚Bienmesabe‘ heißt der klebrig-süße Traum im kleinen Töpfchen mit den tausend Kalorien. So gestärkt geht es über viele Stufen hinauf zur Burg, dem Alcazaba, der hoch oben thront. Der Audioguide informiert uns hörspielartig über Fernando, den christlichen Eroberer, dem es 1410 endlich gelingt, die Nasriden aus der Burg zu vertreiben – natürlich mit Hilfe der Jungfrau Maria, klar. Er zieht dann gleich in die arabisch dekorierte Wohnung ein, was ihm gut gefällt; scheint gemütlich gewesen zu sein, mit viel Stoff. Später wird dann noch der Bischof gefragt, ob man auch die Moschee zerstören dürfe. Aber ja, nur zu, weg damit. Ja, so ist es Sitte: Schon den Römern ging es so, als die Westgoten kamen, die alles kaputt machten, und die Araber haben auch auf die römischen Reste gebaut…
Überall an den Wegen sind kleine Lautsprecher versteckt, die arabische Musik spielen. Der heutige Besucher darf auf alle Türme klettern, in alle Zimmer gehen, durch Schießscharten und von Aussichtspunkten auf die heutige Stadt und El Torcal (wolkenverhangen, es war also die richtige Entscheidung, auf Plan B zurückzugreifen!) blicken. Natürlich hat der fromme Fernando im Jahre 1410 gleich versprochen, eine Kirche zu bauen, aber die Umsetzung hat 100 Jahre gedauert. Inzwischen ist die Kirche kein geistlicher Raum mehr, enthält aber dennoch ein seltsames Memento-Mori-Gebilde mit zwei Knochengerippen und einem Sarg in der Mitte des Hauptschiffs: Nur zu Allerheiligen oder als Dauerinstallation? Wir wissen es nicht...