Tag 53 / Sa 29.9.2018 / Fahrt nach Bilbao
(Cornelia) Natalya erscheint pünktlich zur vereinbarten Zeit, nimmt uns die Schlüssel ab, und etwas wehmütig verlassen wir die Wohnung und die Stadt Jaca. Wenigstens fahren wir noch eine Zeit lang entlang der Pyrenäen. Hinter seltsam gerippten Hügeln sehen wir eine Kirche liegen, die aber von der Straße aus unzugänglich ist; der Ort wirkt geisterhaft. Die Rippen wirken wie betoniert, sind aber in Wirklichkeit loses Geröll. Auch der Staudamm (Embalse de Yesa) liegt einsam in der Landschaft, trotz seines traumhaft türkisgrünen Wassers (allerdings mit niedrigem Wasserstand).
Ganz in der Nähe liegt – noch in Aragón - die Burg von Xavier, die der Reiseführer als besonders mittelalterlich preist. Was er nicht verrät, ist, dass hier Franz Xaver, eigentlich Francisco de Xavier, der Weggefährte im Glauben des Ignatius von Loyola geboren ist, und dass die Burg und das daneben liegende Kloster plus Kirche plus Versammlungsplatz mit Riesenwandbild auch heute fest in jesuitischer Hand sind: Die Gesellschaft Jesu ist allgegenwärtig.
Die Burg ist mit viel Geld auf das Bequemste und Feinste renoviert, dient aber einzig und alleine der Darstellung des Heiligenlebens. Auf Franz Xaver, der im 16. Jahrhundert schon Ostasien bereiste und auch 1552 in China starb, geht auch die jesuitische Tradition der Mission zurück. Wir sehen Dioramen, Statuen und Bilder des Heiligen; einige Reichtümer sind angehäuft, z. B. eine Darstellung der Anbetung in Elfenbein und Ebenholz. Sehr suspekt erscheint uns ein Bild von Jesus vor dem Fujiyama – das erinnert ein wenig an die Mormonen in Salt Lake City (USA), die glauben, dass Jesus ihren Landstrich besuchte. Interessant ist allerdings eine Kapelle mit in Spanien einzigartigen Darstellungen von Skeletten, fast ein Totentanz. Tom posiert noch neben dem zentralen Wandbild auf dem Versammlungsplatz der Pilger, um dessen monumentale Höhe zu demonstrieren, dann machen wir uns auf den Weg ins Baskenland.
Unser Hotel in Bilbao liegt sehr praktisch in Nähe des ‚casco viejo‘, der Altstadt, die für diesen Abend unser einziges Ziel ist. Sie besteht aus kaum mehr als den seit dem Mittelalter so bezeichneten ‚siete calles‘, also sieben Straßen, die aufgrund ihrer Enge kaum Licht einfallen lassen. Im Anschluss versteckt sich in einem Häusercarrée der Neue Platz, die ‚plaza nueva‘: In der Mitte ist eine große, durch niedrige Gitter abgetrennte Fläche, auf der Kinder toben, mit Vätern Fußball spielen, mit Kinderrädern sausen. Außen herum sind die berühmten Pinxto-Bars (sprich: Pintscho), also Bars, die auf ihren Tresen in reicher Auswahl kunstvoll verzierte Tapas anbieten: mit Stockfisch, Schinken, nur Gemüse, runde Bällchen auf Weißbrot oder Pasten in Gläschen, was das Herz begehrt. Drinnen gibt es meist wenige Sitzplätze, jedoch um so mehr Stehplätze; auch auf dem Platz stehen Tische und Stühle. Man bestellt drin und bekommt die Tapas dann gebracht. Wie die Kellner sich alles merken können, ist uns ein Rätsel; offenbar haben sie ein gut trainiertes Kurzzeitgedächtnis, denn alle Kunden essen oft in mehreren Runden und zahlen erst am Ende. Hier wird übrigens mehr Bier als Wein getrunken, aber meist in flachen Gläsern mit geschätzt 0,2 Liter Inhalt. Dünne, kleine Papierservietten stehen auf dem Tisch und werden entweder vom Wind auf den Boden geweht oder achtlos fallen gelassen. Übrigens ist es auch üblich, nach einigen Pintxos die Bar zu wechseln. Und das machen wir dann natürlich auch.
Tag 54 / So 30.9.2018 / Bilbao
Pintxos satt, das haben wir uns vorgenommen. Also gibt es zum Frühstück – erraten! - Pintxos, dieses Mal in der Variante Rührei plus Schinken auf Weißbrotscheibchen. Am Theater vorbei (ähnliche Bauzeit und Stil wie das Stadttheater Fürth, also Neobarock) überqueren wir den Fluss in Richtung Jugendstil-Bahnhof, früher ein Bahnhof, der nur für den Verkehr nach Santander zuständig war.
Den Fluss überqueren wir über die umstrittene Brücke des spanischen Stararchitekten Calatrava [seine Bahnhöfe von Liège und Barcelona, die Straßenbahnbrücke in Jerusalem, das olympische Denkmal in Barcelona haben wir schon gesehen…]. Ihr Belag war zwar schön, aber so glatt, dass die Leute reihenweise ausrutschten; als die Stadt sich entschloss, einen Anti-Rutsch-Belag zu installieren, prozessierte der Architekt gegen die Stadt, weil sie sein Kunstwerk verschandelte… Von dort aus gehen wir in Richtung Zahnradbahn [Günther, da haben wir an dich und Wiesbaden gedacht…!] und lassen uns den Berg hinauf befördern. Sie ist mehrfach modernisiert und anhand alter Fotos sieht man, wie sehr sich die Stadt über die sie umgebenden Hügel ausgedehnt hat. Oben steht auch noch ein interessantes Denkmal für die im spanischen Bürgerkrieg gefallenen Soldaten.
Bevor wir am Guggenheim-Museum ankommen, sehen wir mit Vergnügen einer Tanz-Vorführung mehrerer ganz unterschiedlicher Tanzgruppen zu: Flamenco, Baskische Volksmusik, Modern Dance, Hip-Hop – sehr unterhaltsam. Dem Guggenheim-Museum nähern wir uns dann von unten/hinten, dort, wo es fast an eine Autobrücke anschließt. Hier sind wir mit der gewaltigen Architektur alleine, und ich stelle fest, dass mir die Rückseite besser gefällt als die eigentliche Schauseite.
Von noch einem weiteren Event in der lebendigen Stadt lassen wir uns gerne ablenken: Auf dem Platz neben dem Museum ist eine Motorradschau, oder vielleicht sogar eher eine Motorradfahrer-Schau: Es geht um den bikenden Gentleman, mit Fliege, Weste und karierten Breeches, im Stil der Zeit frisiert, mit geöltem Haar und aufwändig gestyltem (Schnurr-)Bart.
Endlich sind wir drinnen, gehen mit unserem Audio-Guide aber erst einmal nach draußen auf eine Art Terrasse über der Wasserfläche. Die Autobahn-, kann man sagen: Pforte, ist ein Werk von Daniel Buren (hätte man draufkommen können, war aber ein Aha-Effekt). Die silbernen, gestapelten Kugeln sind sofort als Anish Kapoor zu erkennen [zumindest für diejenigen, die in London eine ganze Kapoor-Ausstellung gesehen haben, gell, Margot?]; auch im venezianischen Peggy-Guggenheim-Museum gibt es einen Kapoor-Spiegel. Dennoch: Immer wieder ein schöner Effekt! Daneben liegen die bunten Metallblumen von Jeff Koons. Ab und zu erzeugt eine Brunnenanlage der Japanerin Fujiko Nakaya Nebel und hüllt auch die Metall-Spinne von Louise Bourgeois ein.
Das Museum an sich, von Frank Gehry, dem kanadischen Architekten, ist beeindruckend. (Leider habe ich aber nicht mehr den naiv-unschuldigen Blick des ersten Mals, d.h. manchmal ist es hinderlich, wenn man schon andere seiner Bauten kennt: Die Fondation Vuitton in Paris, ist einige Jahre jünger, aber in meinen Augen viel reifer.) Toll ist, wie er seine Ideen findet: Er lässt sich von der Stadt inspirieren, vom Ort (eine andere Stelle hat er abgelehnt und sich nur auf genau diese Ecke eingelassen) und lässt seine Fantasie schweifen. Hier in Bilbao dachte er an ein Schiff. Computerprogramme errechnen dann Größe und Krümmung der einzelne Bauteile und Platten.
Die permanente Ausstellung ist nicht so überzeugend. Auch mit den stählernen, riesigen gedrehten Ellipsen von Richard Serra, die in Bilbao mindestens 25 Jahre lang ausgestellt werden sollen, kann ich nichts anfangen; richtig unterhaltsam und witzig ist dagegen die temporäre Ausstellung mit Werken der kreativen Künstlerin Joana Vasconselos, einer 1971 geborenen Portugiesin, die zum einen aus Alltagsgegenständen Kunst macht (z. B. aus rotem Plastikbesteck – leider durfte man nicht fotografieren…) und zum anderen gerne traditionelle Techniken wie Häkeln einsetzt.
Nach einigen schönen Bildern (Manet, Renoir, Cézanne, Van Gogh u. a.) innerhalb einer gestifteten Sammlung eines ursprünglich (Münchner!) jüdischen Kunsthändlers verlassen wir das Museum zur Stadtseite hin und bestaunen noch kurz den Jeff-Koons-Hund „Puppy“, dessen Fell aus Blumen besteht.
In einem von Designer Philippe Starck (Alessi!) zum Kulturzentrum umgestalteten Wein-Lagerhaus aus der Jugendstilzeit, in das er mehrere Quader, die auf bunten Säulen stehen, eingebaut und mit einem Schwimmbad mit gläsernem Boden gekrönt hat, gönnen wir uns einen fruchtigen Cocktail, der uns wieder nach vorne bringen soll. Wie am Vorabend landen wir schließlich auf der Plaza Nueva und stärken uns – natürlich, claro – mit Pintxos.
Tag 55 / Mo 1.10.2018 / Bilbao
(Cornelia) Noch vor dem Frühstück schlendern wir durch die Ribera, die Markthalle Bilbaos. Was als größte Indoor-Markthalle Europas gerühmt wird (flächenmäßig jedenfalls), reißt uns inhaltlich gar nicht vom Hocker: Wenige Stände, dünn mit Waren belegt, wenngleich die einzelnen Rindersteaks riesengroß sind. Obst gibt es kaum und – weil Montag ist – auch keine Fische (aber das ist montags in allen Markthallen Europas so, wohl eher zum Glück der Käuferinnen und Käufer). Fazit: Jede französische Markthalle in einem kleinen Ort bietet mehr Varietät als Bilbao.
Die Ribera ist zweigeteilt; leckeres Essen gibt es im zweiten Teil der Halle und hier auch den besten Milchkaffee, den wir bislang in Spanien zu uns genommen haben. Denn Capuccino ist hierzulande noch fast unbekannt (trotz ebenso großartiger Kaffeemaschinen wie in Italien…) [Tom: arme Constanze!].
Ungewollt werden wir Zaungäste einer Demonstration, deren Zug nur sehr langsam voranschreitet, dafür um so mehr (Unverständliches) skandiert, trommelt, pfeift (wirklich, mit einer Einhandflöte plus Trommel machen zwei ältere Männer mit Baskenmützen als Vorhut der Demo viel Lärm und ein bisschen Musik). In Hektik sind eigentlich nur zahlreiche Reporter, die zum Teil gleich ihren eigenen Ausguck dabei haben, eine Haushaltsleiter, in der Aluversion um ein Vielfaches leichter als die riesigen, schweren Foto- und Filmapparate. Als wir die Spruchbänder lesen, begreifen wir auch, warum der Zug so langsam vorankommt: Die großteils alten Leute, z. T. mit Gehwagen, protestieren gegen Rentenkürzungen!
Im Casco Viejo, der Altstadt, ist es viel ruhiger und obwohl es etwas bedeckt und auch kühler ist (18 Grad), kann man draußen sitzen und schauen. Neben uns nehmen vier dänische Hünen vom Typ Wikinger Platz – daneben erscheint der spanische Kellner fast als Däumling.
Im ehemaligen Jesuiten-Kolleg ist das Museum für Baskische Kultur untergebracht. Als erstes sehe ich zwei gerahmte Bilder, 1577 in Nürnberg veröffentlicht (Amann/Weigl). Gibt es das? Baske und Baskin (hier als ‚Biscajer‘ bezeichnet) sind in ihrer (Sonntags-)Tracht abgebildet und einem Text versehen, der sich eher lustig-belehrend liest:
„Ein Weib in Pischcajen. Auff solche weiß die Weiber gehen / Am Feyrtag in Pischcajen.
Und ist bey ihnn ein schöner Tracht / Bey uns würdens für seltzam gacht“.
Im Museum sehen wir dann sowohl auf einer Figur als auch in einem Ölgemälde die im Text erklärte weibliche Kopfbedeckung. Was das baskische Leben bestimmte – Schafe und Wollverarbeitung (Baskenmützen!!), Leinenweberei, später auch Porzellanherstellung und zu allen Zeiten auch das Meer mit jeglichen Berufen – wird gut erklärt und veranschaulicht. Auch heutiges Brauchtum findet Platz.
Nun ist wieder Pintxos-Zeit – wie soll man diesen Köstlichkeiten widerstehen? Wir probieren wieder eine neue Bar aus – es gibt ja genügend! Derart gestärkt kümmern wir uns mal wieder um den Blog. Die Technik ärgert Tom, alles dauert recht lang, kurz sieht es nach Absturz aus, Hilfe… aber am Ende ist der Rückstand wieder bei den bereits ‚üblichen‘ drei Wochen (sorry – wir sind im Urlaub!)
Hier ein Beispiel für die Zweisprachigkeit des Baslenlandes: oben Spanisch, unten Baskisch. Das Baskische hat keinen indogermanischen Ursprung und ist daher für uns gelinde gesagt völlig unverständlich.
("Zugang nur für Feuerwehr und Krankenwagen")
Tag 56/ Di 2.10.2018 / Fahrt nach Burgos
(Cornelia) Gleich nach dem morgendlichen Kaffee in Hotelnähe begeben wir uns auf die Autobahn und erreichen 45 Minuten später die baskische Stadt Vitoria-Gasteiz (vorher nie gehört), in der sich das 2002 eröffnete Artium befindet, das bedeutendste Museum für zeitgenössische Kunst im Baskenland. Nach außen erscheint es als ein ziemlicher Klotz. Die Ausstellungsräume befinden sich im unterirdischen Bereich. Das kam so: Aufgrund eines Investorenwechsels war der Bau eines unterirdischen Busbahnhofs geplatzt, aber eine tiefe Baugrube bereits gegraben. Ein pfiffiger Architekt fand eine Lösung für die Umnutzung. Den Außenbereich zieren nun drei Skulpturen, eine davon interessant, von Jorge Oteiza, der lange mit dem ‚Nichts‘ zwischen offenen Wänden experimentierte, bevor er sich nur noch der Kunstdidaktik widmen wollte. Daneben steht ein oktogonales Stahl-Trumm von Richard Serra, leider 35 Tonnen schwer und deswegen unverrückbar. Könnte ich, würde ich es wegschieben wollen… Mit Serra kann ich nichts anfangen. [Tom: ich auch nicht viel]
Betritt man das Museum, wird man sofort von einer riesigen Skulptur in der Eingangshalle gefesselt. Zuerst denkt man, dass sie vom Luftzug erschüttert wird; es ist aber ein kleiner Motor eingebaut, der ab und zu an der Skulptur rüttelt und ihre tropfenförmigen Glühlampen beim Zusammenstoßen in feinen Klingen ertönen lässt. Javier Pérez‘ Kunstwerk war im Auftrag für die Biennale in Venedig 2001 entstanden („Un pedazo de cielo cristalizado“) und spielt auf Venedigs Glamour und Glitzer an; die Form ist eine umgedrehte Kuppel, die symbolisiert, dass der Blick auf das echte Gesicht Venedigs oft verstellt ist.
Ein weiteres Prunkstück befindet sich ebenfalls in der Eingangshalle, ein Keramikwandbild von Juan Miró, von 1972, ursprünglich für Paris bestimmt, dort aber nie angekommen. Schön, aber noch besser gefällt mir die gläserne Unterwasserwelt von Anabel Quincoces, von 2007, die sie „Water flames“ nennt, weil sie mit mundgeblasenem Glas (in größter Hitze hergestellt) den Eindruck einer blau-grünen Unterwasserwelt herstellen möchte. Die quallenartigen Gebilde, auf insgesamt acht Tafeln unter der Decke, mit einer Größe von 156 x 156 Zentimeter gefallen mir sehr. Das Museum stellt auch wieder eine umhäkelte Schlange von Joana Vasconcelos aus, von deren Werk wir eine Sonderausstellung im Guggenheim sahen – fotografieren durfte man dort leider nur in der zentralen Halle. Die Künstlerin hat witzige Ideen (im Guggenheim z. B. ein vergoldeter Hubschrauber mit Glitzersteinen und pinkfarbenen Pfauenfedern) und verwendet z. T. traditionelle Handwerkstechniken wie Häkeln oder Sticken. Originell ist auch ein Video zu Mondriaans Bildern, das Tänzerinnen und Tänzerinnen tanzend in die computergenerierten Bilder integriert, deren horizontale und vertikale Striche und Flächen sich erst nach und nach aufbauen. Witzig sind auch Tische, die stellvertretend für Frankreich, Italien und Spanien stehen; vor allem werfen sie auch schöne Schatten, die an Figuren von M. C. Escher erinnern. Fazit: Manches ist hübsch, manches gelungen, vieles verstehen wir auch nicht. Insgesamt jedoch war der Besuch lohnend.
Wieder fahren wir eine Stunde, noch im Baskenland, durch wunderschöne Landschaften mit großen Ebenen, Hügeln und schließlich einem Gebirge, das das Gebiet Rioja nach Norden hin abgrenzt und auch schützt. Frisch ist es hier oben. Rioja liegt in einem weiten Becken und ist sogar auf mehreren Seiten durch Berge begrenzt und deswegen klimatisch begünstigt. Etwa 500 Winzer verdienen ihren Unterhalt mit Weinanbau – einen davon wollen wir besuchen.
Der Ort Elciego gehört schön nach Kastilien-Leon und weist seit 2006 eine architektonische Besonderheit auf: Niemand anderer als der kanadische Architekt Frank Gehry hat (für 85 Millionen) ein Luxushotel in Dorfnähe gebaut, von der Mariott-Kette geführt, aber auf dem Grund des Weinguts des Marqués de Riscal. Gehry hat sich wie immer von Form und Farben der Landschaft inspirieren lassen; hier wählt er Rosa (Wein), Gold (wie der Faden um die Flaschen) und Silber (die Folie am Flaschenhals). Bauzeit und Technik entsprechen in etwa der Erbauung des Guggenheim-Museums, nehmen sich hier aber noch viel moderner, überraschender, weil unpassender aus. Plan und Umsetzung, aber auch unternehmerischer Mut verdienen Respekt. Eine Amerikanerin in unserer englischen Führung stammelt nur noch wiederholt: „It‘s amazing…!“
(Tom) Die Führung (auf englisch) gibt einen Einblick in die Geschichte, aber auch die aktuelle Kellereitechnik des Weinguts, das etwa 2/3 seiner Trauben von lokalen Weinbauern zukauft. Bemerkenswert ist eine Maschine mit elektronischer Bilderkennung, die per Druckluft einzelne verdorrte oder sonst verformte Trauben automatisch aussortieren kann, modernste Technik vor einem Jahrhunderte alten Kellereigebäude. Es gibt extra Gewölbe für das „Archiv“, in dem von jedem Jahrgang einige hundert Flaschen eingelagert werden und noch alle Jahrgänge seit der Gründung 1858 (!) vorrätig sind. Leider muss mit ca. 20% Ausschuss gerechnet werden, sagt der Führer, aber verkauft werden die eh nicht. Nur besonders renommierte Weintester werden zu speziellen Verkostungen eingeladen, da gehören wir leider nicht dazu…
Die aktuelle Produktion reift je nach Qualitätsstufe 2 bis 4 Jahre in ca. 37.000 Barriquefässern (zu je 221 Liter), da liegt dann gut und gerne ein höherer zwei-stelliger Millionenbetrag… Man sieht, der Wein ist schon ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig im Rioja. Aber auch das Luxushotel bringt zahlreiche gut betuchte Zeitgenossen in das kleine Dorf und schafft viele Arbeitsplätze, weshalb sich die anfängliche Ablehnung der Dorfbewohner nun doch in Akzeptanz gewandelt hat.
Tag 57 / Mi 3.10.2018 / Burgos
Von unserem Landhotel aus sind es nur wenige Kilometer bis Burgos. Der Name der Stadt hängt wirklich mit ‚Burg‘ zusammen, allerdings gibt es von ihr nur noch Reste. Wir steigen an Nachmittag trotzdem zu ihr auf, um den schönen Blick auf die Stadt zu haben.
Vorher aber besichtigen wir die Kathedrale, die zum UNESCO Weltkulturerbe steht und in der wir uns knapp zwei Stunden mit Audioguide am Ohr aufhalten. Später werden wir einen deutschen Rentner auf dem Hauptplatz von Burgos entrüstet laut rufen hören: „Sieben Euro Eintritt für ‘ne Kirche – die haben ja einen an der Waffel!“ Wie immer in solchen Fällen versuchen wir, uns unsichtbar zu machen und kein deutsches Wort zu verlieren.
Die Kathedrale ist weitgehend im gotischen Stil erbaut, steht aber auf der ehemaligen romanischen Vorgängerkirche, von der es auch noch zwei Stockwerke gibt. Natürlich ist der Innenraum überreich mit Resten gotischer Wandmalereien, aber auch Renaissance- und Barockaltären in Seitenkapellen ausgestattet. Man darf nach Herzenslust fotografieren, und so wird der geneigte Leser nachher einige Fotos aus der Kirche bewundern können. Besonders schön ist die später hinzugefügte Kuppel im Mudéjar-Stil; die Vorgängerkuppel war wohl wegen des Erdbebens in Lissabon am Einstürzen, weswegen ein baufreudiger Bischof den Auftrag für einen Neubau vergab. Unter den Spezialisten am Bau wird auch öfter ein gewisser ‚Johannes aus Köln‘ genannt, der mit seinem Sohn in der Dombauhütte arbeitete. Ein Schmankerl ist auch eine prächtige Innentreppe, die zu einer – heute verschlossenen – Türe führt (die Kathedrale liegt am Hang und diese Pforte war dem Bischof vorbehalten). Sie wurde zum Vorbild der Treppe in der Pariser Oper Garnier – seltsame Wege gibt es manchmal. Was es außerdem zu bewundern gibt: Ein schönes Chorgestühl, viele Reliquien und Reliefs (von der studentischen deutschen Stimme im Audioguide zu meinem Ärger wie [reliki‘e] und (engl.) [reli:f] gesprochen….). Eine unglaublich reichhaltige Kathedrale!
Tom wünscht sich noch einen Museumsbesuch im „Museo de la Evoluciòn Humana“, ebenfalls in Burgos in einem Neubau beheimatet. Die Wartezeit nützen wir für einen Capuccino und wiederholen spanische Verben – wir Musterschüler! Das Museum ist auch didaktisch auf dem neuesten Stand, allerdings fast zu weitläufig mit viel ungenütztem umbauten Raum. Die Entwicklung des Menschen ist dokumentiert, aber auch die Wissenschaftsgeschichte, etwas Archäologie und Höhlenforschung bis hin zum Stand der Hirnforschung. Interessant war es auf jeden Fall!
Tag 58 / Do 4.10.2018 /
von Burgos nach Salamanca
(Cornelia) Wir beginnen den Tag mit dem Besuch eines Zisterzienserinnen-Klosters aus dem 12. Jahrhundert, dem Monasterio Real de las Huelgas in Burgos. Es ist ein riesiger Komplex mit Klosterkirche, Kreuzgang, Obstgarten und Museum im ehemaligen Getreidespeicher; die Bausubstanz ist gotisch, aber manche Altäre stammen aus der Renaissance. 32 Nonnen leben noch dort, in Klausur; das Kloster ist so sehr bewacht, als gäbe es den Staatspräsidenten zu schützen: Überall werden wir – trotz Führung – von einem Sicherheitsdienst begleitet. Hm. Fotografieren darf man auch nur an zwei Stellen – wie schade! So vieles wäre es wert gewesen, aufgenommen zu werden! So gibt es nur wenige Fotos, von außen und vom Kreuzgang. ‚No fotos‘ im Innenraum der Kirche (schlicht, aber beeindruckend), ebenso nicht von der Santiago-Kapelle mit wunderschöner Mujédar-Decke; immerhin darf der Kreuzgang abgelichtet werden, mit seinen typischen Doppelsäulen (klar, Zisterzienser!) und ziselierten, mit vegetalen Motiven verzierten Kapitellen. Weil es viele Sarkophage gibt, werden auch gut erhaltene Kleidungsstücke aus dem 12. Jahrhundert im Original ausgestellt – wo findet man das sonst? Besonders beeindruckend ist das Zeitkontinuum, findet Tom. Seit dem 12. Jahrhundert existiert das Kloster, und immer noch leben und wirtschaften Klosterschwestern dort.
Wir satteln die Pferde und bevorzugen nach einem Stück Autobahn in Richtung Salamanca (südliches Kastilien-Leon) die Landstraße. Der Ort Tordesillas, in dem 1494 ein wichtiger Vertrag ausgehandelt wurde, nämlich die Aufteilung der Kolonien zwischen Spanien (Südamerika) und Portugal (Brasilien) liegt etwas verschlafen, aber hübsch am Fluss Duero, den wir erst nach einigem Nachdenken als die spanische Variante des portugiesischen Douro erkennen, an dessen Ufern wir im Mai 2017 unterwegs waren. Das Zentrum der Altstadt erinnert in seiner quadratischen Struktur etwas an die befestigten Orte im französischen Gers (Südwesten Frankreichs) – man liegt in etwa richtig, wenn man sich ein Mühlespiel vorstellt. Natürlich hat um 14 Uhr alles geschlossen, aber wir wollen auch nicht warten, bis das kleine Museum zum großen Vertrag öffnet, sondern fahren weiter über leere Landstraßen durch Agrarlandschaft in wunderbar leuchtenden Rot- und Brauntönen, ab und zu unterbrochen von bewässerten grünen Flächen (Gründüngung, nehme ich an) und dem Blau des Duero. Überall Schirmpinien und viele Eichen, mit deren Eicheln hierzulande das Iberische Schwein, richtig, dasjenige, welches dann den leckeren Schinken gibt, gefüttert wird; manches Mal entpuppt sich ein vermeintlicher Steinhaufen als kleine Schafherde.
Am späten Nachmittag erreichen wir bei 27 Grad Salamanca und malen uns, als wir dann ein paar Stunden später die Kathedrale im Licht der untergehenden Sonne sehen, aus, wie heiß es wohl im Sommer hier sein mag. Die Bauwerke, Kirchen aus der Gotik mit Renaissance-Portalen und – kuppeln reihen sich aneinander, dazwischen die berühmte Universität, die bald 800-Jahr-Feier hat, und ein paar Profanbauten aus Gotik und Renaissance. Das Abendessen nehmen wir an der Plaza Mayor ein, einem der schönsten Plätze Spaniens, wenn wir dem Reiseführer Glauben schenken. Und das können wir getrost: Als der Platz um 20.30 Uhr beleuchtet wird, hört man ein einstimmiges Raunen der Besucher. Unglaublich schön! Über die moderne Brücke laufen wir zum Hotel zurück; Gelegenheit für ein paar Fotos mit gespiegelter Kathedrale!
Tag 59 / Fr 5.10.2018 / Salamanca
So, ein Tag im „magischen Salamanca“, wie unser Reiseführer („Spanien“, Lonely Planet, mehrere Autoren) schwärmt, in „Kastiliens lebendigster Stadt“, liegt vor uns. Wie am Abend überqueren wir die Römerbrücke aus dem ersten Jahrhundert und stoßen gleich danach auf ein Denkmal, das ich zunächst für Don Quichote und Sancho Panza halte. Nein, falsch, aber es handelt sich um Cervantes‘ Vorbild, einen anderen Schelmen-Roman, der nur noch als Fragment vorhanden ist.
Zunächst wenden wir uns der Universität zu, der ‚Universidad Civil‘. Hier tummeln sich viele Menschen, es gibt sogar einen Extra-Souvenir-Shop der Universität, denn Salamanca zieht mit Sommerkursen auch viele ausländische Spanisch-Studentinnen und Studenten an, gilt das kastilische Spanisch doch als stilbildend. Die Eingangsfassade der Universität stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist – in meinen Augen – viel zu überladen, laut Reiseführer aber ein „Augenschmaus“. Augengraus… da hätte er meine Zustimmung! Der Renaissance-Stil des Portals hat den Namen ‚Plateresk-Stil‘ (vorher nie gehört, nie gesehen).
Wir wenden uns dem ‚Himmel Salamancas‘ zu, von einem Renaissance-Kreuzgang in der Universität aus zugänglich; zunächst soll die Bibliothek hier untergebracht gewesen sein, direkt unter dem im 15. Jahrhundert gemalten Sternenhimmel. Der Raumeindruck ist sehr schön, fast feierlich, unter der Sternenpracht.
Die ganze Altstadt Salamancas ist UNESCO-Weltkulturerbe – man weiß wirklich kaum, wo man zuerst hinsehen soll. Tom ist schon etwas besorgt: Neben der ‚Catedral Nueva‘ (spätgotisch – die Neuheit hängt doch stark vom Standpunkt ab…) gibt es laut Plan auch noch eine ‚Catedral Vieja‘ aus der Romanik. Beide kann man jedoch mit einem Eintritt und ein und demselben Audio Guide besichtigen. Der Rundgang durch die Neue Kathedrale wird leider stark durch eine spanische Führerin beeinträchtigt, deren rostige Stimme einen förmlich verfolgt; wohin wir auch gehen, es gibt kaum ein Entrinnen. Zudem werden viele Seitenkapellen gerade renoviert, sodass der Gesamteindruck stark geschmälert ist. Interessant ist ein Skelett, das sich in einer Wand mit Votivgaben befindet, wunderschön ein zierlicher David mit Harfe auf einem riesigen, vierseitigen, drehbaren Notenständer (die einzelnen Bücher für den gregorianischen Choral wogen bis zu 60 Kilo, also mal vier…) im geschnitzten Chorgestühl.
In der romanischen Kathedrale gibt es einige wunderbare Wandmalereien und eine der ältesten erhaltenen Kirchenorgeln (16. Jh.) zu sehen, deren Unterteil in Mudéjar-Holzschnitzerei uns besonders gefällt. Kurios ist auch eine Kapelle, die in früheren Zeiten der Universität als Examensraum diente: Der Examinand bekam sein Thema, indem man mit einem Skalpell drei Mal in ein Buch stach, also zufällig die Themen wählte, und hatte dann 24 Stunden Zeit, um seinen Diskurs vorzubereiten. Essen wurde ihm durch eine Klappe geliefert. Dem mehrstündigen Vortrag mit Diskussion wohnten dann mehrere Professoren bei (Bank an drei Seiten des Raumes) und auch Kommilitonen durften zuhören, während der Prüfling auf dem ‚heißen Stuhl‘ saß.
Nach so viel Kunst und Kultur – man ahnt es schon – ist eine Portion Jamón fällig, damit die Lebensgeister wieder erwachen. Gestärkt sehen wir uns den „reizenden Innenhof“ des ‚Casa de las Conchas‘ (Muschelhaus) an, mit schönen Wasserspeiern, und erklimmen dann die 166 Stufen der ‚Scala Coeli‘ (Himmelsleiter) in einem Turm, der eigentlich zu einem Jesuiten-Kloster mit riesiger Barockkirche gehört (‚Real Clericia de San Marcos‘). Jesuiten sind ja bekanntlich Meister der Public Relations, und so nutzen sie zu unserem Ärger die leeren Innenwände des Turms für jesuitische Glaubensparolen in fast ohrenbetäubender Lautstärke. Oben eröffnet sich „ein herrlicher Panoramablick“ - und dieses Mal stimme ich dem Reiseführer uneingeschränkt zu…!
Wir brauchen nun leichter verdauliche Kost und freuen uns auf ein Jugendstil-Juwel (sage ich, nicht der Reiseführer…), das ‚Museo de Art Nouveau y Art Decó‘. Es ist in der sogenannten Casa Lis untergebracht, wo es auch hervorragend hinpasst. Leider ist Fotografieren verboten, aber wir können einen Besuch dort jedem nur wärmstens empfehlen: Die Glasdecke in der zentralen Halle leuchtet in kräftigen Farben („lichtdurchfluteter Raum im Modernista-Stil (katalanischer Jugendstil)“), die Front zum Fluss ist bunt-blumig verglast und auch die Ausstellungsobjekte sind gut ausgewählt und schön präsentiert (Gallé, Lalique, Fabergé u. a.). Es gibt auch ein nettes Café mit extravaganten Sitzmöbeln aus der Zeit.
Abends – keine Frage – müssen wir noch einmal zur Plaza Mayor, zwischen 1729 und 1755 angelegt („Spaniens schönster Platz“, „ein außergewöhnlich harmonisches und maßvolles Barockensemble“) und testen ein weiteres Restaurant, das Mesón Cervantes (er hat in Salamanca Theologie studiert…). Tolle Stadt, toller Platz, tolles Essen (Lammbraten vom feinsten)!