Tag 214/ Sa 9.3.2019 / Rapa Nui
(Cornelia) Heute sind wir mit dem Schwiegersohn der B&B-Besitzerin, Leonardo Pakarati, verabredet. Als wir um 9 Uhr losfahren, wissen wir noch gar nicht, dass wir das große Los gezogen haben: Leonardo ist Reiseführer, aber auch Filmemacher, war mit seinem Rapa-Nui-Film schon auf der Berlinale in Berlin und kennt die großen anthropologischen Museen der Welt, d.h. das Ethnologische Museum in Berlin, das British Museum in London und das Musée du Quai Branly in Paris. Letzteres haben wir auch schon einmal besucht und waren damals begeistert, sowohl von der Architektur (Jean Nouvel) als auch von der äußerst zeitgemäßen und künstlerischen Ausstattung des Museums. Leo bestätigte diesen Eindruck, wohingegen das British Museum wohl eher der alten Art anhängt, Völker zu präsentieren.
Offenbar gibt es einen berühmten Spielfilm über Rapa Nui mit Kevin Costner – Leo hat das Making of dazu gemacht; man findet ihn auf Youtube. In seinem zweiten eigenen Film spielen seine inzwischen verstorbene Tante, sein Schwiegervater und seine Tante mit. Es geht darum, dass die Insel einen Raubkunst-Moai von Großbritannien zurück haben möchte. Wir haben den Film im Reisegepäck, ihn aber noch nicht angesehen… Sieben Stunden sind wir mit Leo unterwegs; Straßen gibt es nur im Ostteil der 144 Quadratkilometer großen Insel.
Erster Halt ist in Vaihú/Hanga Te‘e, Teil des heutigen Nationalparks (mit 2 x 60 Euro ein teurer Eintritt – hoffentlich sinnvoll investiert). Hier hat man den ursprünglichen Haustyp der früheren Insulaner rekonstruiert: Die Neuankömmlinge, die auf der Suche nach neuem bewohnbaren Land mindestens 2000 Kilometer über den Ozean in schmalen Kanus gekommen waren, hatten ihr Boot einfach umgedreht und sich darunter gelegt: Das erste Haus. Die Variante aus Steinen ähnelte dann der Bootsform: Ein Oval, ziemlich flach, weil man nur zum Schlafen hineinkroch, mit nur einem Eingang. Daneben sehen wir die Rekonstruktion eines flachen Steingebäudes ohne Eingang… Leo nimmt zwei lose Steine aus der Wand und – putt, putt, putt - hört man das Hühnervolk ‚reden‘, und eins, zwei, drei, spazieren Hennen und Hahn ans Licht der Freiheit und recken sich. Sofort kommt auch der Hahn seiner Arbeit nach und kräht…! Über eine weite Fläche verteilt stehen auch runde oder ovale Steinumfassungen, mit Erde und verschiedenen Anpflanzungen gefüllt. Die porösen Steine dienen dazu, das wenige Regenwasser zu sammeln und vor dem Verdunsten zu schützen. Man weiß heute, dass schon die ersten Siedler sowohl Hühner als auch Bananen mitbrachten.
Die nächste Kultstätte liegt neben einem Vulkan und nennt sich Rano Raraku. Hier gibt es etwa 400 Moais in allen erdenklichen Herstellungsphasen. Viele von ihnen liegen buchstäblich auf der Nase, entweder weil sie umgefallen oder nie vollendet wurden. Andere stecken halb in der Erde, weil sie ein Stück nach unten gerutscht sind. Wieder andere sind nicht vollendet und sind noch dem Stein verbunden, aus dem sie gehauen sind. Hier befindet sich nämlich auch der Tuffstein-Steinbruch, der zur Herstellung der Moais diente. Von der Ferne sieht er wie eine besondere, von Gras überwachsene Felsformation aus; dass es sich um einen Steinbruch handelt, erkennt man erst aus der Nähe. Hier liegt außerdem noch der größte Moai überhaupt: gigantische 22 Meter lang. Wir sind von allem, was wir sehen, sehr beeindruckt: Das Quietschgrün der Wiesen, das Blau des Ozeans, die weißen Wellen und die dunklen Steine!
Leo schickt uns noch den kurzen Weg zum Kraterrand hinauf, wo sich der Blick auf den Krater eröffnet, der früher einen See beinhaltete, der für Wettbewerbe genutzt wurde. Das Wasser ist fast weg, aber Seegras deutet noch darauf hin.
Gleich gegenüber befindet sich der Ahu Tongariki, die größte wiedererrichtete Bestattungsplattform der Insel, mit 15 Statuen, verschiedener Größe, Alters und Zustands. Vor allem vom Steinbruch aus sieht die Reihe pittoresk aus, ist aber auch von unten und hinten beeindruckend. Wie alle Moais stehen sie mit dem Rücken zum Meer. Je näher ein Dorfbewohner an einem Moai wohnen durfte, um so höher war sein soziales Ansehen. Letztlich ging es also wieder einmal um Machtdemonstration und auch ‚Konsum‘ - man musste sich einen Moai leisten können.
Wieder im Auto fährt uns Leo zur Anakena-Bucht, die mehrere Moais, aber auch einen sehr schönen Südseestrand mit Palmen, weißem Korallensand und türkisfarbenen Wasser aufweist. Das Strandleben mit etlichen Bars ignorieren wir, gehen aber zu den Moais, um sie in dieser Umgebung zu sehen.
Durchs Landesinnere fahren wir nach O‘Rongo: Es ist die wichtigste zeremonielle Stätte der Insel, weil dem Ort ein Felsen und zwei Mini-Inseln vorgelagert sind, die eng mit der Wahl des Regenten zusammenhängen. Jeder Clan schickte früher einen jungen Mann, der ihn repräsentierte, zu einem Wettbewerb, in dem es galt, verschiedene Aufgaben zu lösen: Erst musste man das Kliff hinunterklettern (300 Meter), dann über die erste Insel zur zweiten schwimmen und dort einem bestimmten Vogel ein Ei aus dem Nest rauben und sich schließlich mit dem Ei in einem Säckchen an der Stirn wieder auf den Rückweg machen. Wer als Erster ankam, dessen Clan wurde für ein Jahr als Herrscher bestätigt. Von O‘Rongo aus hat man einen traumhaften Blick auf die Südsee. Oben ist ein Dorf rekonstruiert, neben dem sich, hinter einer Absperrung, auch Petroglyphen befinden, die den sog. Vogelmenschen darstellen. Laut Leo geht es in der ganzen Rapa-Nui-Kultur um den Erwerb oder Erhalt von Mana, der Lebensenergie, die sich nicht nur in Kraft, sondern auch in Intelligenz äußern kann und gesellschaftliches Ansehen mit spiritueller Kraft gleichsetzt.
Nach den sieben Stunden mit dem äußerst lebhaft, eindrücklich und kenntnisreich auf Englisch erzählenden Leo sind wir ‚platt‘… Sendepause.