Tag 281 / Mi 15.5.2019 / Epilog
Noch ein paar abschließende Worte zu Neuseeland, vor allem, weil die Rubrik „Land und Leute“ dieses Mal leer geblieben ist.
Neuseeland ist wirklich ein ‚relax country‘. Alle und alles ist entspannt, gut organisiert, stets auf die einfachste Art und Weise, mit geringer Bürokratie, mit klarer Ausschilderung. An den entlegensten Orten gibt es ein bis zwei Toiletten (sauber, mit Papier, Wasser und Seife). Der Kaffee ist superlecker. Auch hier ein Beispiel für die Einfachheit: Jeder Kaffee kostet gleich, ob Espresso, Capuccino oder ‚Flat White‘ (ein Capuccino ohne Kakao oder Zimt-Topping), es kommt nur auf die Größe an. In den meisten Cafeterias gibt es viele süße und saure Kleinigkeiten, aber oft auch Gemüse und Salate. Das einheimische Bier schmeckt lecker; etliche Weine auch, obwohl sie für unseren Geschmack immer etwas zu leicht ausgebaut sind. Das Bewusstsein über ‚heritage‘ (kulturelles Erbe) wird bei den Kiwis groß geschrieben, ‚Altes‘ stammt aus der Zeit der Kolonialisierung (etwa 1870); ‚sehr alt‘ ist, wenn etwas um 1840 gebaut wurde.
1840 wurde auch der Treaty of Waitanghi zwischen den Vertretern verschiedener Maori-Stämme und der englischen Krone geschlossen. Während lange Zeit die Maori ausgebeutet und ihr Land auf billigste Weise übernommen wurde, erleben sie nun endlich Gerechtigkeit und Aufwertung im öffentlichen Leben. Es gibt Maori-TV (z.T. in Englisch, manchmal nur in Maori). 2006 waren es etwa 160.000 SprecherInnen (bei 4,5 Millionen Einwohnern); es gibt viele Ansätze zur Förderung von Maori in Kindergärten und Schulen. Ein deutliches Zeichen für die zunehmende Wahrnehmung des Maori-Erbes im öffentlichen Raum ist die zunehmende Verwendung der Maori-Bezeichnung für New Zealand: Aotearoa (‚Das Land der großen weißen Wolke‘). Anderes Beispiel: Auf der Fassade der neuen Stadtbibliothek in Christchurch fehlt das Wort ‚library‘; stattdessen prangt nur das entsprechende Maori-Wort an der Wand. Auf Straßenschildern lesen wir – anderes Beispiel – zuerst ‚Aoraki‘, bevor, viele Kilometer später, auch der Begriff ‚Mt. Cook‘ erscheint. Die nächste Generation Reiseführer, eine nach unserer, stellt sich auch um, haben wir in einer Buchhandlung gesehen: Aotearoa steht nun groß drauf, Neuseeland in kleiner Schrift.
Weiteres Beispiel für die ‚relax-Kultur‘: Während man bei uns Selbstbedienungsrestaurant das Tablett selbst jongliert, bestellt und zahlt man bei den Kiwis alles an der Kasse, darf sich aber – mit einer Nummer auf einem Ständer – gleich hinsetzen. Dann wartet man darauf, dass einem der heiße Kaffee oder der dampfende blueberry muffin gebracht wird. Die Bedienung ihrerseits nimmt auch nur einmal den ganz effektiven Weg zum Tisch des Gastes. Auch im Restaurant zahlt man an einer zentralen Kasse, muss also weder auf das Zahlen warten noch wird man xmal gefragt/bedrängt, ob man noch Wünsche habe. Einfach aufstehen, zahlen, weggehen. Alles funktioniert ohne Hektik und Stress. Liegt es an den Naturburschen, die man hier auch an kalten Tagen mit kurzer Hose und hochgekrempelten Ärmeln radeln oder laufen sieht? Holen sie sich an den Wochenenden Entspannung beim Angeln? Im Fernsehen gibt es neben den üblichen Kochsendungen auch eine über jemand, der sich erst im Neopren-Anzug den Fisch fängt, dann auf einem Außengrill geschmackvoll zubereitet und die drei Rezepte zur ‚easy‘ Zubereitung drei Mal wiederholt.
In jedem Airbnb waren Basislebensmittel vorhanden: ein bisschen Kaffee (immer Nescafé, meist auch richtiger Kaffee für den ‚plunger‘), Tee und Kakao, frische Milch, Zucker, Salz und Pfeffer, etwas Öl (meist Reis-Öl, weswegen wir dann doch mit einer Flasche Olivenöl im Gepäck reisten), meist auch ein paar Cookies oder Frühstückscracker, manchmal auch Müsli-Riegel. Sehr praktisch! Auch das Einchecken in das jeweilige Haus oder Apartment ging einfacher vonstatten als jemals in anderen Ländern: Überall gibt es hier sog. Keyboxes, in denen der Hausherr/die Hausherrin mittels einer vierstelligen Nummernkombination den Wohnungsschlüssel jederzeit zugänglich macht. Den Code erhält man ein bis zwei Tage vorher via e-mail; lästiges Warten auf den Gastgeber bzw. den Gast entfällt.
Tom schätzt auch das Multikulturelle der Gesellschaft sehr, was sich u. a. in den Restaurants widerspiegelt: Wir haben sehr gut thailändisch und indisch gegessen, aber auch gutes Wild und Lamm. (Den englischen Anteil gibt es auch… naja… fad-soßig, wie man es aus GB kennt…) Auch im Supermarkt hatten wir schon bewundert, wie hoch der Anteil an Produkten für die Küchen der Welt ist; natürlich gibt es auch halal geschlachtetes Lamm und Rind, keine Frage.
Auffällig sind viele Kirchen. Überwogen die schottischen Einwanderer, sind es katholische; die englischen Einwanderer schufen presbyterianische Kirchen. Aber man sieht auch viele Mormonen-Kirchen sowie Königreich-Säle der Zeugen Jehovas. Insgesamt scheinen Kirchen in New Zealand einen fruchtbaren Boden vorzufinden, was ich einerseits den Siedlern zuschreibe, die sich in der Diaspora sicher mehr an den Glauben klammerten als im homeland, andererseits den Maoris, deren Glauben sich alle möglichen anderen Welt- und Paradiesvorstellungen aufpropfen ließen.
Zurück zum Alltag, wo uns the easy way of life auch noch an anderer Stelle überrascht hat: Die Mietverlängerung und vor allem das Umbuchen des Rückgabeortes unseres Nissan von Auckland auf Christchurch war schnell erledigt, obwohl das Auto nun auf der Süd- statt auf der Nordinsel steht. Nicht einmal eine sonst übliche One-Way-Gebühr, die oft sehr teuer ist, wurde erhoben. Eine einzige Mail unsererseits war nötig – und Stunden später war die positive Antwort da.
Nach so viel Lobhudelei für das junge Land, sei noch kurz erläutert, was uns missfiel: Die Heizungen, die meist nur aus einer elektrischen Wärmepuste bestanden oder einem Heizkörper auf Rollen oder einem nicht sehr wärmenden fiktiven Kaminfeuer plus Puste. Strom wird in Neuseeland günstig durch Wind- oder Wasserkraft erzeugt, weswegen man sich offenbar keine Gedanken über Heizung per Strom macht. Und offenbar – siehe oben – hält das hiesige Völkchen ja spielend auch tiefere Temperaturen in kurzen Hosen aus… Wird es wirklich zu kalt, legt man sich einfach unter die in den meisten Fällen genial warme (Alpaka-?)-Bettdecke. Aber das Heizungsproblem ist in der Tat marginal im Vergleich zu allem, was in Neuseeland super klappt!
Noch kurz zu den menschlichen Begegnungen, die natürlich schwer zu vergleichen sind. Wahrscheinlich hatten wir in Südamerika besonderes Glück, Menschen wie Roberto (Astrofotograf) Mario (der singende Griller) und Flavio (unser Pannenhelfer) kennenzulernen, mit denen wir immer noch in Kontakt stehen. Dazu kamen die intensiven, bereichernden Begegnungen mit den anderen Campern aus der Schweiz und aus Kanada. Menschliche Begegnungen gab es hier natürlich auch, sie blieben aber doch mehr auf der höflich-freundlichen Oberfläche. Das ist aber, wenn ich an brummige bis unfreundliche Dienstleister in Deutschland denke, doch schon sehr positiv und angenehm.
Weil ich gerade am Vergleichen bin: In Südamerika wird etwas Tolles hingestellt (Gebäude, Straße, Campingeinrichtung etc.) - und dann lässt man alles mangels Pflege verfallen. Neuseeland ist das blanke Gegenteil: Alles ist äußerst gepflegt, von der Toilette bis zur Schotterpiste, die es in entlegeneren Gebieten gibt, aber mit 50 km/h ohne Zögern befahren werden kann. Kein Vergleich zu argentinischen Rumpel- oder chilenischen Staubstraßen…!
Großartige Natur gibt es sowohl in Neuseeland wie auch in Südamerika; sogar die relative Nähe zwischen Meer und Bergen ist in NZ und Chile vergleichbar. Dennoch: Südamerika hat etwas mehr Abenteuer geboten und etwas mehr ‚Wert‘, weil wir uns alles erst erkämpfen mussten. Der emotionale Gewinn, sein Ziel erreicht zu haben, fällt damit etwas höher aus.
Insgesamt aber gilt für unsere Sabbatjahr-Reise rückblickend: „Non, je ne regrette rien“ - wirklich gar nichts bereuen wir! Und somit sehen wir unserer morgigen Ankunft in Australien mit Freude entgegen!