Tag 209 / Mo 5.3.2019 / Valparaíso
(Cornelia) Wir wollen den Blog voranbringen und bleiben den Vormittag noch im gemütlichen Aufenthaltsraum in unserem Hotel: Wände in venezianisch-rot, Holzbalken, eine Wurlitzer-Jukebox, viele Vintage-Stühle. Nicht nur der Blog beschäftigt uns, sondern auch die weitere Reise, vor allem Neuseeland und die Frage, wo und wie wir reisen wollen. Erst am frühen Nachmittag machen wir uns auf den Weg.
Tom findet einen sich zwischen hohen Wänden mit bunten Bildern auf und ab schlängelnden Weg, der aber tatsächlich am Aufzug „El Peral“ endet, der uns sofort ein Stück nach unten bringt – ohne Rumpeln, ziemlich sanft. Unten, wo ein bisschen mehr Platz bis zum Hafen ist, stehen mehrere Gebäude aus der Zeit nach dem Erdbeben von 1936 (eine Art natürliches Abbruchunternehmen), die zwar groß, aber eher klotzartig sind. In Hellblau und Weiß herausgeputzt ist allerdings das Gebäude der chilenischen Armada, in dem Matrosen mit ziemlich seltsamen Hütchen aus- und eingehen. Matrosen-Look wirkt auf mich immer kindlich… Ein Matrose bewacht dann auch das Denkmal ud Mausoleum von Arturo Prat, dem chilenischen Helden der Schlacht bei Iquique. Auf das stilvolle alte Gebäude von Hapag Lloyd gleich daneben hat ein geschmacksverirrter Architekt einfach einen verglasten schwarzen Würfel gesetzt. Ansonsten ist die Hafengegend auch olfaktorisch alles andere als erfreulich. Auf zur ältesten Zeitung des Landes. Ursprünglich nur das Blatt Valparaísos, ist „El Mercurio“ zu einer national gelesenen Tageszeitung aufgestiegen. Im Eingangsbereich des historischen Gebäudes, auf dem natürlich eine Statue des Götterboten thront, steht noch eine alte Setzmaschine. Noch faszinierender ist der gepflegte alte Aufzug mit seinem Gitterkäfig. Ein freundlicher Herr, vermutlich ein Journalist, drückt uns den Nachdruck der Erstausgabe von 1827 (!!!) in die Hand.
Hier im Zentrum ist es ziemlich schmutzig, heruntergekommen, alles von den Abgasen der Autos auf den wenigen Durchgangsstraßen verdreckt; viele ganz kleine Geschäfte, viel Fast-Food-Fettgeruch. Nur schnell weg… Viele Italiener landeten einst hier: Ein Traditionslokal namens „Cinzano“ zeugt davon und bietet eine große, alte Bar.
Eine palmengesäumte und mit vielen Statuen bestückte Straße führt an etlichen Universitätsgebäuden für Ingenieure vorbei zu einem wenig touristischen Ziel, das mir noch wichtig ist. In Chile gibt es eine eher teure Supermarkt-Kette, die viele deutsche Produkte vertreibt: Jumbo. Davon hatte mir schon im Flieger nach Santiago meine Sitznachbarin Daniela erzählt. Nachdem ich mich in den letzten Tagen mit der gruseligen Vergangenheit der „Colonia Dignidad“ - einer unter der Diktatur des selbst ernannten Predigers und Pädophilen Paul Schäfer stehenden deutschen Sekte - beschäftigt habe, weiß ich, dass die Nachfolge-Gemeinschaft, die sich „Villa Baviera“ nennt, ihre landwirtschaftlichen Produkte vor allem an Jumbo oder Santa Isabel, einer weiteren Supermarkt-Kette, liefert. Das will ich mit eigenen Augen sehen… Leider steht aber auf allen Würsten vom Typ ‚riceta alemán‘ nur „Hergestellt in Chile für Jumbo“. Zahlreiche Produkte anderer deutscher Firmen stehen auch in den Regalen: Dr. Oetker, Leimer Semmelbrösel, Schnapspralinen, Gewürzketchup, viele Kuchen. Die ehemalige Colonia Dignidad betreibt übrigens auch ein sehr großes und gut funktionierendes Lokal in Bulnés, an der Ruta 5 gelegen, namens „Casino Familiar“; früher soll am Eingang ein lebensgroßes Bild von Franz-Josef Strauß gestanden haben, weil man gute Beziehungen zur CSU in Deutschland pflegte. Prozesse gegen Missbrauch von Knaben durch Paul Schäfer und Misshandlungen mit Pharmaka und Elektroschocks führten nur in wenigen Fällen zu Strafen in Prozessen, die sich zwischen Chile und Deutschland zum Teil 20 Jahre hinzogen. Dass die Colonia auch als Folterschule diente und dort auch verschiedene, der chilenischen Diktatur unter Pinochet unliebsame ‚Verschwundene‘ ermordet wurden, ist bisher auch straffrei geblieben. - Im Untergeschoss des Einkaufszentrums befindet sich ein Taxistand und so geht der Rückweg zum Hotel ganz schnell… Das restliche Programm: Fisch essen, auf die Stadt im Abendlicht gucken, am Blog schreiben.