Freitag, 26.1.2024: Valencia mit Kunst und Kathedrale

Am Morgen sind wir unsicher, ob wir darauf vertrauen können, dass das Kanalisationsproblem in der Unterkunft auch wirklich behoben sein wird. Sollen wir nicht doch gleich noch eine Nacht im Hotel verlängern? – Geht leider nicht, „ausverkauft auf booking.com“ teilt uns die Plattform mit. Handwerker sind weit und breit nicht in Sicht – na, das kann ja heiter werden, denken wir. Als wir dann doch gegen Mittag nachfragen, stellt sich heraus, dass alles fertig ist und man vergessen hat, uns die frohe Kunde mitzuteilen – aber lieber so als anders!

Wir beschließen, in die Altstadt zu fahren, dieses Mal mit dem Bus anstatt mit der Metro. Die Busroute führt durch das Universitätsviertel mit verschiedenen Fakultäten. Die Straßenzüge sind mit hohen Wohnhäusern bebaut und wirken so, als stammten sie aus derselben Epoche der Stadterweiterung. Eine riesige Stadt! Nach dem Turia-Park, den der Bus auf einer breiten Brücke überquert, wird es kleinteiliger: Die Altstadt beginnt. In der Nähe der Plaza de la Reine steigen wir aus.

Der Platz der Königin ist recht groß, von einigen Palmen bestanden, mit Sprühvorrichtungen für die heißen Tage versehen, hell gepflastert; im Hintergrund sieht man schon die Kathedrale, ringsum Straßencafés. Hier ist der richtige Moment, eine Horchata zu trinken, ein in Valencia sehr beliebtes Getränk aus kaltem Wasser, in der über Nacht gequollene, zerkleinerte Erdmandeln (eine Knolle!, auch Tigernuss genannt) gezogen haben und weggefiltert werden. Das nun milchähnliche Getränk wird noch gezuckert und hält sich einen Tag lang. Schmeckt lecker! Traditionell wird dazu ein spezielles Gebäck in länglicher Form angeboten, ‚fartons‘ genannt, ebenfalls mit Zucker glasiert und sehr saugfähig. Das haben wir aber noch nicht probiert… Neben uns werden genüsslich Churros verzehrt, zu denen traditionell heiße Schokolade serviert wird oder auch ein kleiner Milchkaffee.

Die Kathedrale, deren Turm sehr schöne gotische Zierelemente aufweist, empfängt ihre Besucher durch einen Eingang aus der Renaissance. Bezahlt man seinen Eintritt (à 9 €), bekommt man sofort einen Audioguide in deutscher Sprache ausgehändigt. Der Sprecher heißt einen willkommen und weist im ersten Satz darauf hin, dass das Gotteshaus jedem offen steht. Das können wir nur mit einem amüsierten Kopfschütteln quittieren… ja, für jeden offen, der den Eintritt zahlt! Sei‘s drum, wir sind drin und lassen uns vom informativen Text in bestem Deutsch durch das Kircheninnere leiten. Uns beiden gefällt die gotische achteckige große Laterne mit Alabasterfenstern über der Vierung, die dafür sorgt, dass die Kirche insgesamt sehr hell wirkt, am besten. Dem gotischen Langschiff (Basilika-Grundriss) schließt sich ein ehemals romanisches Deambulatorium hinter der Apsis an, deren Kapellen aber später (überladen-)barock ausgestattet wurden. Ein Glockenrad fällt in den Blick, dessen Schnüre verführerisch herunterhängen – gerne würde ich einmal daran ziehen. Aber der Audioguide sorgt vor: der Klang, der den Moment der Wandlung akustisch markiert, wird eingeblendet. In dem Umgang hinter dem Hochaltar stehen auch viele Heiligenfiguren, u. a. eine Gottesmutter mit Kind, vor der schwangere Valencianerinnen traditionell Blumen ablegen und um eine gesunde Geburt ihres Babys bitten, diverse Sarkophage von Bischöfen, Reliquienschreine, großflächige Bilder (z. B. ein Goya, auf dem man sieht, wie ein nicht reuiger Sünder von wilden Tieren/Teufeln umringt ist, während sich Francisco de Borja um ihn bemüht) oder ein gotisches Retabel, das Geschichten aus dem Neuen Testament wie ein Comic Strip illustriert.

Im Kathedralmuseum sticht mir eine schwangere Madonna ins Auge – ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Marienfigur mit dickem Bauch gesehen zu haben. Das wertvollste Objekt in der Kirche ist ein Kelch, der als der Heilige Gral angesehen und verehrt wird – der einzige von vielen, den der Vatikan anerkannt hat. Mir gefällt vor allem das gotische Kreuzrippengewölbe, das einen sehr schönen Stern ausbildet und mit figuralen Schlusssteinen verziert ist; nicht nur zur Zierde, sondern in baustatischer Funktion.

Übrigens verhält es sich mit dem heutigen Kirchenbau (Romanik-Gotik-Renaissance-Barock-Klassizismus) ähnlich wie mit einer russischen Matrioschka-Puppe. Die Kathedrale wurde auf eine Moschee gebaut (daher ist das Querschiff auch heute noch nach Mekka ausgerichtet), die auf einem westgotischen Heiligtum steht, das auf einem römischen Tempel errichtet wurde…

Geht man außen um die Kathedrale, gelangt man linker Hand zum sog. Apostel-Tor. Es sieht aus wie ein Klon des Aposteltors in Lleida, aber mit kompletter Apostel-Ausstattung. Hier tagt einmal im Monat der Wasser-Rat, ein Gremium aus Landwirten, die zum Richter über Wasserzufuhr erhoben sind (kein Einspruch möglich!), ein Relikt aus arabischer Zeit. Bei heutiger Wasserknappheit in Spanien könnte diesem Rat wieder eine größere Bedeutung zufallen. Von illegaler Wasserentnahme in Spanien liest man oft, zumal der Anbau von z.B. Erdbeeren und Tomaten sehr wasserintensiv ist.

Bevor wir ins 2023 neu eröffnete Hortensia Herrero Art Centre aufmachen, ist der richtige Zeitpunkt für ein Glas Cava auf der Plaza de la Reina im schrägen Sonnenlicht bei 18 Grad. Die private Kunstsammlung der Mercadona-Supermarktketten-Erbin Herrero hat mit ihrer Stiftung in sieben Jahren und für 42 Mio. Dollar einen Palast aus dem 17. Jahrhundert in der Altstadt in ein Kunstzentrum umgebaut. Zufällige Funde beim Umbau (ein arabischer sternförmiger Brunnen sowie ein gemauerter Ofen aus dem Mittelalter und einige Vasen und Becher) finden im Keller Platz, während die hundert Kunstwerke von 50 Künstler*innen im großzügigen Eingangsbereich oder in eine Reihe von mehr oder weniger kleinen, manchmal fast zu engen Räumen ausgestellt werden. Ich finde das neue Museum einerseits interessant und anregend, andererseits ist der Geschmack der Spenderin, die ihrerseits einen Kurator bemüht hatte, doch etwas eingeschränkt; bisweilen hat man das Gefühl von ‚name dropping‘ – auch dieser oder jener Name musste einfach noch fallen (z.B. Calder, Mirò, Lichtenstein, Kiefer und andere). Manches wurde aber auch extra für das Kunstzentrum in situ überlegt, geplant und ausgeführt und bereichert es sehr, z.B. die Buchstaben-Installation von Jaume Plensa, durch die man auf die Terrasse mit begrünter Mauer tritt (eine schöne Idee!), die Neugestaltung der Privatkapelle in wunderbar leuchtenden Farben und Lichteffekten durch Sean Scully mittels Kristallglas oder – für mich die Nummer 1 – der Lichtgang von Olafur Eliasson („Tunnel for Unfolding Time“), der, wenn man ihn in der einen Richtung durchquert, in allen möglichen Farben leuchtet und glänzt, während er von der anderen Seite aus einheitlich dunkel wirkt. Er hat zudem eine praktische Funktion, weil er zwei Gebäudeteile verbindet. Hübsch anzusehen sind auch die achteckigen schillernden Luftblasen von Tomás Saraceno mit dem Titel „Corona australis 38.39“. Fazit: Das Kunstzentrum bereichert auf jeden Fall Herreros Heimatstadt Valencia und ist in vielerlei Hinsicht sehenswert. (Danke, Eberhard, dass du uns über einen Zeitungsartikel aus der FAZ auf das Kunstzentrum aufmerksam gemacht hast!)

Danach geht es müden Schrittes in die Metro und nach Hause, etwas essen und bald schlafen…


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