Der Vormittag vergeht für Langschläfer im Nu; ich buche eine Führung bei Lustau für übermorgen, wir lesen noch einmal über Farruquito nach und die Informationen über das nächste ‚espectáculo‘, recherchieren Restaurants in Jerez und in Tarifa. Auf einmal ist es Nachmittag, Zeit für das spanische Mittagessen. Im ersten Lokal unserer Wahl ist der Kellner unfreundlich, so dass wir ins „A mar“ gehen – es hat sowieso denselben Küchenchef; dort ist man nett und bemüht, spricht Empfehlungen aus. An der spanischen Restaurant-Kultur gefallen uns zwei Dinge sehr gut: einerseits rümpft keiner die Nase, wenn man Speisen teilt – im Gegenteil, es gibt sogar auf jeder Speisekarte eine Abteilung ‚A compartir‘, zum Teilen, andererseits gibt es häufig die Gerichte in zwei Größen, entweder als ‚tapa‘ oder als ‚ración‘ (bei Vorspeisen) oder als ‚media‘-Variante, wenn es sich um ein Hauptgericht handelt. Das ist preiswerter und belastet den Magen weniger. Denn viele Zubereitungen sind sehr öl-haltig; Tom hat gelesen, dass der wöchentliche Pro-(Erwachsenen-)-Kopf-Verbrauch an Olivenöl in Andalusien bei einem Liter liegt – Hilfe…!
Das „A Mar“ bringt uns allerdings zum Schwärmen: eine karamellisierte Leber mit Feigen- und Quittenmarmelade, Artischocken mit Gamberi und Muscheln, dann ein wunderbarer Petersfisch in Oloroso-Pilz-Sauce zu Gemüse sowie eine leichte Käsecreme auf Pistazienbiscuit, mit Quittenkern und Bitterorangen-Sauce. Alles sehr lecker.
Wir setzen uns mit unseren Büchern auf dem großen Platz noch ein wenig in die Sonne, bevor uns dringend vor der Abend-Show ausruhen müssen. Heute erwartet uns ein ganz anderes Kaliber als gestern: die Compania David Coria, die Avantgarde unter den Flamenco-Truppen, auf jedem bedeutenden Tanz-Event eingeladen – in Lyon, Aix-en-Provence, Rom undundund. Wir sind schon gespannt.
Da wir in der dritten Reihe sitzen, haben wir eine sehr gute Sicht auf die Bühne, was gut ist, weil sich manches auch eher hinten abspielt. Viel Theaternebel ist anfangs im Einsatz; fahle Scheinwerfer lassen die nackten Arme leuchten. Eigentlich sehen wir Modern Dance mit Flamenco-Einlagen, wenn ich es zuspitze; aber was wir da sehen, ist genial: der Choreograph und Namensgeber der Truppe, David Coria, tanzt auch selbst und hat vier Leute um sich geschart, die nicht nur wunderbar tanzen, sondern auch in derselben Energie stehen. Lyrische und energische Momente lösen einander ab und ebenso wie beim Tanzen verhält es sich mit der Begleitmusik: Sie ist bisweilen poetisch-sanft, dann wieder sehr fordernd: Die Sopranistin (mit ganz klarer Stimme) spielt auch sehr schön Cello, ein Saxofonist bedient auch Klarinette und ein trötendes Kuhhorn, der Sänger hat ebenfalls eine sehr sonore und nicht gequetschte Stimme. Ein Teil der Musik kommt vom Band, der Rest wird mit Hall und Echo live beigesteuert und ist im Zusammenspiel mit der Geschichte, die der Tanz erzählt, sehr packend und faszinierend. Schade, dass wir den Text nicht verstehen. Körperpercussion, die an manchen Stellen fast wie Schuhplatteln anmutet, wechselt mit rythmischem Atmen und Klangsilben ab, immer wieder in Flamenco-Schritte übergehend, an- und abschwellend – einfach großartig!
Bilder von der Aufführung gibt es hier:
https://www.diariodejerez.es/festivaldejerez/Compania-David-Coria-Teatro-Villamarta-Festival-Jerez-Flamenco-2024_3_1881441838.html
Kurz nach der Vorstellung treffen wir Yvonne. Auch ihr hat die Show sehr gut gefallen. Leider ist sie zu müde, um mit uns noch einen Wein trinken zu gehen. Also kehren wir noch einmal im „Cruz blanco“ ein, einem Lokal, das nicht nur freundliche Kellner*innen hat, sondern auch ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Wir bekommen einen Platz zwischen zwei Öfchen, probieren Wermut und Sherry und freuen uns über das nächtliche Stadtleben – Jerez hat doch 212.000 Einwohner*innen und die Festival-Besucher*innen kommen noch dazu.