Dienstag, 5.3.2024: in Jerez – Real Escuela del Arte Equestre

„Como bailan los caballos andaluces“ – so heißt die Show der Königlichen Reitschule, die am anderen Ende der Innenstadt in einem Park mit einem Brunnen liegt. Wir waren beide noch nicht in einer Vorführung der Wiener Hofreitschule, weswegen wir ohne Erwartungen kurz vor 12 Uhr mittags unsere Plätze einnehmen. Zum Glück haben wir noch eine Zweitjacke im Rucksack, weil wir uns schon dachten, dass es in der Reithalle zugig sein könnte, und auch unsere bewährten klappbaren Styropor-Unterlagen (jaja, man wird älter, da hat man es gerne warm unter dem Po…). Gleich neben der Reitschule liegt übrigens die Bodega der Firma Sandeman. Über ihr versorgt ein Storchenpaar seinen Nachwuchs im Nest.

Der Titel der Show verspricht nicht zu viel: Die Pferde bewegen sich wirklich im Takt der Musik, laufen im gebremsten Galopp, drehen Pirouetten, traben auf der Stelle (Piaffe), stellen sich mit und ohne Reiter auf die Hinterbeine und springen aus dem Stand mit allen vier Beinen in die Höhe. Auch Kutschen fahren ein, als Ein-, Zwei- und Vierspänner, und die Kutscher sind unterschiedlich, aber passend zu ihren Gefährten gekleidet. Es ist schon erstaunlich, welche einen kleinen Kreis die vierspännige Kutsche fahren kann – man sieht die Fahrspur auf den Boden gezeichnet. Nach der Pause werden die Übungen noch schwieriger; in den Ansagen ist immer mehr von der ‚alta escuela‘, der Hohen Schule (der Dressur) die Rede. Gegen Ende kommen noch zwölf andalusische Schimmel in die Halle, alle mit geflochtener und quastengeschmückter Mähne (natürlich in rot-gelb, den spanischen Nationalfarben) und laufen nebeneinander, kreuzen oder führen einen perfekten Reißverschluss vor. Die Musik ist häufig Wiener Walzer oder spanische Volksmusik. Am Ende des knapp zweistündigen Spektakels werden wir noch mit philosophischen Worten entlassen: ‚educacion‘ sei eben alles – bei den Pferden wie im Menschenleben.

Sehr schön war das alles anzusehen! Zurück im Zentrum finden wir auf einem Platz mit einem Musikpavillon und einem riesigen Gummibaum ein peruanisches Restaurant, wo wir lernen, dass ‚ají‘ nicht Knoblauch (ajo) ist, sondern eine spezielle Chili-Schote (ají amarillo). Ich bin glücklich mit einem Fisch-Ceviche, Tom bekommt Hähnchen. Zum Abschluss gönnen wir uns – als Chile-Erinnerung… – noch einen Pisco Sour, der herrlich schmeckt.

Unsere letzte Veranstaltung – das Festival dauert noch länger… – findet heute schon am späten Nachmittag nicht im Teatro Villamarta, sondern in der Sala Compañía statt, einer barocken Kirche, seit 2003 in städtischem Besitz und zum Mehrzwecksaal umgebaut. Im ehemaligen Kirchenschiff mit schlichter, aber wirkungsvoller Architektur und in schönen Farben, finden Kino- und Opernvorstellungen statt, Konzerte, Ausstellungen… und eben auch Flamenco. Unser Tänzer heute, David Romero, erhielt 2022 den Titel ‚bester Flamenco-Tänzer Spaniens‘. Das klingt vielversprechend! Er hat sich ein besonderes Thema gewählt und eine Show dazu ersonnen: eine Reise an verschiedenen Orten der Welt, die ihn persönlich besonders beeindruckten, als da wären: Argentinien, Indien und Japan.

Diese Auswahl eröffnet neue Möglichkeiten für Kostüme, Dekoration, Musik und auch Witz: So geht nach einer kurzen Eröffnungsrede, in der Romero in Jeans und Hoodie mit einem Koffer auf der Bühne steht, eine Stewardess durch den Raum, die die ‚Flugreisenden‘ begrüßt und nachsieht, ob alle richtig angeschnallt sind. Man ahnt schon: Sie wird später als Romeros Partnerin auf der Bühne stehen und die Zeit prima überbrücken, die er zum Umziehen benötigt. Als argentinischer Gaucho braucht er nur einen Gegenstand, einen Hut, mit dem es sich auch beim Tanzen vortrefflich spielen lässt. In Indien stellt ein Tanz-‚Duett‘ mit seiner Partnerin indische vielarmige Gottheiten dar; musikalisch kommen Sitar-Klänge, Klangschalen usw. dazu. In jeder Nummer gehen typische Melodien langsam in Flamenco-Rhythmen über, nicht immer aber wird in der erwartbaren Weise gesungen. Zwei amerikanische Songs werden auch auf ‚Flamenkisch‘ dargeboten: „What a wonderful day“ und „My way“ – sehr interessant! Auch die Kostüme werden den Ländern angepasst. Sehr überraschend ist ein lichttechnischer Einfall zur Nummer ‚Mandala‘: Romero trägt Handschuhe, die grüne Laserstrahlen aussenden, mit denen sich allerlei geometrische Figuren in den dunklen Raum zeichnen lassen. Grün zieht sich übrigens als Farbe durch fast alle Kostümierungen.

Die Band ist ebenfalls ausgezeichnet; der Perkussionist erinnert in seiner Variationsbreite und der Wahl seiner Klappern, Schepperl und Klangschalen an Yogo Pausch aus Nürnberg (nicht optisch!), die beiden Sänger singen dieses mal wirklich sonor und nicht nur heiser und vor allem der Gitarrist ist hervorragend. Später findet Tom heraus, dass er auftritt, seit er sechs ist und als Flamenco-Lehrer einen Lehrstuhl an der Musikhochschule in Düsseldorf hat; darüberhinaus gibt er Online-Kurse für Flamenco-Gitarre und stellt auch viele Tutorials auf youtube. Sein Ton ist herausragend gut und musikalisch klar. Seine Verwandlung des japanischen Volksliedes „Sakura“ zur Flamenco-Musik ist hinreißend. Am Ende erhält die Geschichte ihren Rahmen, indem es zu einem kleinen Zwischenfall auf dem Flughafen Tokio kommt, wo der Protagonist schnell mit seinem Koffer laufen muss, um den Flieger nach Madrid zu bekommen. Alles in allem äußerst gelungen und ‚rund‘: Begeisterter Beifall im Saal! Wir sind natürlich hochzufrieden, mit dem Festival an sich, unserer Auswahl an Interpreten, der Stadt Jerez und dem vertieften Kennenlernen verschiedener Aspekte des Flamenco.

Ausschnitte aus der Aufführung gibt es hier:
https://youtu.be/rJUWv9lBR6E?feature=shared

Ja, da fehlt eigentlich nur noch das Gläschen Sherry in einer Bar auf einem netten Plätzchen in der Nähe des Veranstaltungsraums. Gesagt, getan – schon sitzen wir und – fast wie gerufen – biegen auch noch Yvonne und ihre Freundin um die Ecke, vom Schuhkauf kommend: Man kann sich hier für 200 Euro Flamenco-Schuhe ‚schneidern‘ lassen, alles individuell und ganz nach dem Fuß. Zwei bis drei Monate später erhält man seine Maßanfertigung. Die beiden bleiben noch bis zum Ende des Festivals am kommenden Samstag.


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