Samstag, 2.3.2024 : in Jerez – Farruquito

Auch tagsüber bezaubert uns das Städtchen. Als wir den zentralen Mercado de Abastos betreten, sehen wir Gemüse und riechen Fisch. Das ist ein merkwürdige Cross-over, das sich nach ein paar Schritten von selbst erklärt: die riesige mittlere Halle ist gänzlich dem Verkauf von Fisch gewidmet, vorne liegt das Gemüse, im Seitenflügel gibt es Fleisch aller Arten.

Die Kathedrale sehen wir zu unser beider Erleichterung nach ein bisschen Googlen zur von außen an – ich denke, wir haben beide schon wieder eine Überdosis an spanischen Kathedralen erhalten… Dann lieber Sherry testen: Der gestrige von Tio Pepe war schon sehr trocken, heute probieren wir einen Oloroso von Alonso, einen ‚würzigen‘ – immer noch trocken, aber schon besser. Auf dem großen zentralen Platz haben wir schon auf dem Hinweg ein Lokal erspäht, wo wir uns zwei Vorspeisen teilen, was in Spanien angesichts der servierten Mengen völlig ausreicht, um satt zu werden und, weil es schon wieder Nachmittag ist, auch gut für den restlichen Tag anhält.

Erst um 20.30 Uhr beginnt die erste Flamenco-Vorstellung im Teatro Villamarta. Der Zigeuner-Clan Farruquo stellt in seinem Programm „Alma nueva“ den 20-jährigen Urenkel des berühmten El Farruquo, Juan El Moreno, in den Mittelpunkt und zeigt an manchen Stellen alte Videoaufnahmen des großen Meisters (+1997) in dessen Programm „Alma Vieja“. Der große Macher aber ist Juan Manuel Fernandez Montoya, genannte ‚Farruquito‘ (seines Zeichens Enkel von El Farruquo und dessen designierter Nachfolger) der mit flinken Füßen und unbewegtem Oberkörper verschiedenste Klangmuster demonstriert und emotionale Effekte sucht. Ab und zu treten auch zwei Tänzerinnen auf, mal im Spiegelbild, mal alleine, in Rot, in Schwarz mit Tüchern oder in Weiß sogar mit Schleppe. Die Begleitband – Gitarre, Keyboard, Schlagzeug – achtet sehr auf die Impulse, die der Tänzer setzt und klingt in dichten Momenten fast nach Improvisation. Daneben gibt es noch zwei männliche Sänger, von denen einer in meinen Ohren ein schrecklicher Schreihals ist, und zwei alte Damen, die klatschen oder auch mit rauer Stimme Melodien andeuten (Singen mag ich es nicht nennen…) Am Ende kommen auch noch die etwa achtjährigen Urenkelinnen auf die Bühne und geben eine kleine Tanzeinlage. Auch im eigentlich internationalem Publikum – vor allem viele Amerikaner*innen und viele Asiat*innen – sitzen heute Abend Teile von Farruquitos weitläufiger Verwandtschaft, oft erkennbar an ihrem auffälligem Styling und großzügiger Beringung.

Bilder von der Aufführung gibt es hier:

https://www.diariodejerez.es/festivaldejerez/Farruquito-Juan-Moreno-Festival-Jerez-Flamenco-2024_3_1881141868.html

Am Ausgang treffen wir Yvonne, der die Show am Vorabend besser gefallen hat als diese und uns noch zur nächsten Location begleitet, der Bodega Gonzáles-Byass, die auch den bekannten Tío Pepe-Sherry herstellt. Dort gibt es erst einen Sherry, für mich Cream, für Tom Oloroso. Im Hintergrund stapeln sich die Fässer mit dem berühmten Logo, und es riecht angenehm nach Sherry. Es ist die größte Kellerei in Jerez, die zweitgrößte in Spanien und sogar unter UNESCO-Weltkulturerbe gestellt, mit ‚Sherry-Hotel‘, Sterne-Küche und eigenem Festival.

23 Uhr, das Licht geht aus und El Pepe singt: „Auuuu-auauau-auuuuuu-au! Sa-a-a-a-aaag ma-a-al, me-e-e-ee-eee-erkst du-u-u-uuu de-e-enn ni-i-i-icht, da-a-aaaaaaaa-as du-u a-a-auf mei-ei-nem liiiiii-i-inke-eeen Fu-u-uuß ste-he-eeeest!“ So ähnlich stelle ich mir den Text vor, wenn ich dem doch etwas gequält sing-schreienden Sänger lausche. Er trägt, immer begleitet von einem Gitarristen und manchmal auch von einem Klatscher und einem Cajon-Spieler fünf (sehr) lange Lieder vor, eines davon in mindestens 26 Strophen. Wenn er sich besonders quält oder mit dem Atem kaum noch hinkommt, geht ein Raunen durch den Saal oder leises „vale“-Rufe, manchmal auch ein „Olé“. Nach einer guten Stunde folgt nur noch eine Zugabe, uff, und wir dürfen uns vom unbequemen Stuhl erheben.


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