Donnerstag, 22.2.24: Tagesausflug nach Tanger

Das marokkanische Tanger steht heute auf dem Programm. Um 9 Uhr legt die Fähre ab; an Bord wickelt sich eine lange Menschenschlange um die Cafeteria. Wir warten erst mal ab, trinken einen Kaffee und stellen uns an, als sich die Wartezeit stark verkürzt hat, um unseren Stempel durch die marokkanische Grenzpolizei abzuholen. Die nächste Kontrolle – ob der Stempel auch sitzt… – findet dann an Land statt. Hüben wie drüben werden Handtaschen und sonstiges Gepäck durchleuchtet. Aus der einen Stunde Überfahrt werden auf diese Weise leicht zwei.

Als wir den Hafen in Richtung Stadt verlassen, werden wir mehrfach von selbst ernannten Guides angesprochen. Vor allem Tom fühlt sich nahezu ‚verfolgt‘, während ich die Politik des lächelnd- Abtropfen-Lassens verfolge. In der Stadt selbst spricht uns niemand mehr an, und so gehen wir völlig unbehelligt über den Grand Socco (eigentlich Place du 9 avril) in die Neustadt, wo sich die Filiale von Maroc Telecom befindet. Dort bedient uns eine freundliche Angestellte und nimmt sich unserer auch noch an, als wir die Karte aktivieren wollen und etwas länger als üblich brauchen. Uff, meine neue marokkanische Telefonnummer ist aktiviert, das weitere Aufladen übernehmen Supermärkte oder Tante-Emma-Läden. Vorher brauchen Ockers aber einen Kaffee mit Törtchen, um wieder zu Kräften zu kommen. Toms argentinisches Handy nimmt sich viel Zeit, um sich mit der Karte anzufreunden, aber dann sind wir im Internet.

Vom Grand Socco (span. für Souk = überdachter Markt) aus sind es nur ein paar Schritte zum Marché Central, wo mal nach Gewürzen, mal nach Obst riecht. Wir sehen Fleischtheken, wie man sie sich einladender nicht vorstellen kann: sauber, alle Spieße und sonstigen Putenstückchen exakt parallel ausgerichtet, Seite an Seite. Daneben gibt es natürlich auch Stände, die dem entsprechen, was man sich unter orientalischem Markt vorstellt: Ganze Schaf-Hälften baumeln am Haken, Hammelköpfe liegen auf Augenhöhe, Pansen häuft sich zu einem Berg. Die Fischhalle bietet eine unglaublich Vielfalt und Auswahl an Meeresgetier, alles schön präsentiert. Mit flinken Fingern pulen zwei Männer Krabben in einem Tempo, dass die Krabben gerade so von links nach rechts fliegen. Gleichzeitig sehen sie ganz woanders hin und lassen einfach ihre Finger arbeiten.

Wir verlassen den Markt und nehmen die zentrale Straße Richtung Hafen, wo wir schon beim Hinaufgehen einen Museumseingang wahrgenommen hatten: das Musée Dar Niaba, erst am 22.8.2019 eröffnet. Das Gebäude musste erst einmal für 14 Mio. Dirham (ca. 1,3 Mio Euro) in Stand gesetzt werden; in einem schönen Innenhof stehen einige Orangenbäume. In einem Teil der Säle ist die Geschichte des Gebäudes (ehem. französisches Konsulat) nachzulesen, in einem anderen wird die Geschichte Tangers und Marokkos auf einem bebilderten Zeitstrahl nachgezeichnet; übrigens hat auch der deutsche Kaiser Wilhelm mit Pickelhaube die Stadt besucht. Im Gebäude fanden vor der Unabhängigkeit Marokkos viele Vertragsabschlüsse statt. In weiteren Sälen sind private Sammlungen zusammengeführt, hauptsächlich Portraits in Gouache oder Öl, aber auch Stadtansichten; manche Charakterköpfe von vor 200 Jahren wirken so modern, dass man den Eindruck hat, den einen oder anderen gerade eben auf der Straße gesehen zu haben…

Im Palais Zahia, einem mit Schnitzereien reich verzierten Riad mit Innenhof, früher eine Bank und jetzt ein ‚hôtel de charme‘ im Petit Socco, lassen wir uns an einem Tisch nieder und bestellen Salat, Suppe und zwei verschiedene Tajines; freundliche Kellner servieren wunderbar gewürzte Speisen.

Wir wollen noch ein bisschen durch die Medina schlendern, die bunten Haustüren in winkeligen Gassen ansehen, weißgetünchte Häuser in marokkanischer Architektur mit schmiedeeisernen Gittern und Treppchen bewundern. Schnell ergreift ein junger Marokkaner die Chance, uns – natürlich unaufgefordert – zur Kasbah zu führen; wir werden ihn erst los, als wir ihm einen 20-Dirham-Schein (ca. 2 €) in die Hand drücken: da macht er auf dem Absatz kehrt.

Oben münden mehrere Gassen in einem Platz, an dem sich ein großes renoviertes Gebäude mit wenigen Fensteröffnungen befindet, über das ich erst später lese, dass es bis 1970 als Gefängnis von Tanger diente und erst 2022 nach der Renovierung seiner neuen Bestimmung zugeführt wurde. Jetzt ist es Teil des Kasbah-Museums, des Museums der Mittelmeerkulturen und des Museums für Zeitgenössische Kunst (letzteres ist ein Außenposten des Musée du Monde Arabe in Paris). Ein absolut verwirrender Rundweg führt durch die verschiedenen Räumlichkeiten; wenn der Herr am Empfang nicht aufmerksam gewesen wäre, hätten wir wesentliche und sehr schöne Teile der Kasbah nicht gesehen (Garten, Räume mit geschnitzten Decken aus Zedernholz…). Die archäologischen Funde lassen wir bis auf das sehr gut erhaltene Mosaik aus Volubilis („Venus“) links liegen. Länger halten wir uns Bereich Malerei und Plastik auf, weil es uns hier ermöglicht wird, in manch andere Betrachtungs- oder Empfindungsweise einzutauchen. Dieses Museum, sehr locker besucht, sollte zum ‚must‘ für jeden Besucher werden.

Außen an der Befestigungsmauer, von wo aus man einen guten Blick auf den Fischereihafen und die ‚Gare Maritime‘ hat, führen viele Treppenstufen nach unten. Kurz nach 18 Uhr treffen wir in der Abfertigungshalle ein; die Fähre geht um 19 Uhr. Dieses Mal ist die See etwas weniger ruhig. Wir sind froh, nach einem erlebnisreichen und spannenden Tag wieder unser ruhiges Quartier aufsuchen zu können.


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