Dienstag, 16.1.2024: in Portbou und Cadaqués

Tom nimmt meinen Vorschlag, nach Portbou an die spanisch-französische Grenze zu fahren, gerne an. Von Figueres aus erreicht man den Ort in 30 Minuten. Hier interessiert mich besonders das Memorial Walter Benjamin, vom israelischen Künstler Dani Karavan (1930 – 2021) gestaltet, von dem unter anderem die ‚Straße der Menschenrechte‘ in Nürnberg, das Denkmal der Sinti und Roma in Berlin sowie das Relief der ehemaligen Synagoge auf dem Neupfarrplatz in Regensburg stammen. Karavan erschafft begehbare Monumente, so auch im Fall des Memorial in Portbou. Walter Benjamin, der jüdische Philosoph und Schriftsteller, Schöpfer des „Passagenwerk“, war nach Jahren des Exils in Europa in Cerbère, dem französischem Grenzort auf der anderen Seite der Pyrenäen, angelangt, um das Grenz-Gebirge (trotz eines Herzproblems) mit Hilfe der Fluchthelferin Lisa Fittko zu überqueren (vgl. ihr Buch „Mein Weg über die Pyrenäen“) und anschließend über Lissabon in die USA zu emigrieren. Weil er dachte, er besäße ein korrektes Passersatzdokument, meldete er sich bei den spanischen Behörden, die ihn prompt abwiesen. Damals nannte man es noch nicht ‚pushback‘ oder mit dem ‚Unwort des Jahres 2023‘ ‚Remigration‘… Darüber war er so verzweifelt, dass er sich in derselben Nacht noch das Leben nahm.

In Portbou sieht man also das Memorial, eine überdachte Treppe aus rostendem Cortenstahl, vermutlich zum Teil freischwebend über dem Meer, die an ihrem Ende nach oben offen vor einer Glasplatte endet, in die ein Zitat Benjamins graviert ist und die den Blick auf das bewegte Meer frei gibt. Das Memorial ist in seiner Schlichtheit sehr beeindruckend, aber auch bedrückend und stellt die Verzweiflung Benjamins gut dar. Gleich daneben ist der Eingang zum Friedhof, wo Benjamins sterbliche Hülle zunächst fünf Jahre in einer Grabnische ruht (von der mit ihm Geflüchteten Henny Gurland bezahlt, der späteren Ehefrau Erich Fromms); nach Ablauf der fünf Jahre kommen seine Überreste in ein Massengrab. Heute stehen noch eine Korten-Stele mit dem Wortlaut des (von Henny rekonstruierten) Abschiedsbriefs sowie ein Gedenkstein auf dem kleinen Friedhof, den offenbar auch viele jüdische Menschen besuchen, wie die Anzahl der auf Benjamins Grab abgelegten Steine bezeugt.

Problem der spanischen Eisenbahn ist ihre Spurbreite, die 24 Zentimeter breiter ist als die in Europa übliche. Für den TGV, der Frankreich und Spanien verbindet, hat man deswegen gleich eine neue Trasse gebaut, die etwas weiter im Landesinneren verläuft. Die Züge von Cerbère nach Portbou müssen in einer Umsetzanlage auf die andere Spurbreite umgesetzt werden, was bei Personenzügen wohl ziemlich schnell geht, aber bei Güterzügen länger dauert. Neue Gleise mit Betonschwellen werden in den letzten Jahren gleich so gebaut, dass man die Spurbreite irgendwann verkleinern kann, aber bislang hat Spaniens ambitioniertes Projekt, sich Europa in der Spurweite anzuschließen, nicht funktioniert – viel zu teuer. Die Bahnhofshalle von Portbou ist mit einer imposanten Glas- und Eisenkonstruktion überwölbt und erscheint für den kleinen Ort völlig überdimensioniert. Im Ort selbst stehen viele Geschäfte leer, aber im Monat Januar bemerken wir überall diese Erscheinung und wissen nicht, ob so ein Laden in den Sommermonaten wieder vermietet und offen ist. Es werden aber auch Häuser renoviert, u.a. die Bibliothek Walter Benjamin.

Tom und das Kind im Manne, das gerne seine Modelleisenbahn wieder aufbauen würde, soll noch einen Blick auf den Bahnhof von Cerbère werfen, weswegen wir nach mehreren Serpentinen die mit Graffiti besprühten Grenzgebäude – ein echter ‚lost place‘ – passieren. Von der anderen Seite der Passhöhe hat man einen guten Blick auf die Gleisanlagen.

Im kleinen französischen Küstenort hat leider kein Restaurant offen und so fahren wir gleich weiter nach Cadaqués, viele Kurven und eine Stunde Fahrt entfernt, mitten einem Naturschutzgebiet auf dem Cap de Creus gelegen, dem östlichsten Punkt Spaniens. Berühmt ist Cadaqués, weil dort im Ortsteil Portlligat Salvadore Dalís durchgehend (bis zum Tod seiner Frau Gala) bewohnte ‚Casa‘ steht, die er sich, ausgehend von der ursprünglichen, nur ein paar Quadratmeter großen Fischerhütte, geschaffen hat. Wir wissen vorab, dass das Wohnhaus jedes Jahr zwischen 9.1. und 11.2. geschlossen ist, wollen aber dennoch einen Blick auf die beiden silbernen Köpfe auf dem Dach erhaschen. Erst aber ist ein Mittagessen wichtiger, denn es ist schon 14.30 Uhr…! Wir finden ein Restaurant unten in der Bucht von Cadaqués und sitzen bei 15 Grad neben einem Gasfeueröfchen draußen. An die spanische Küche müssen wir uns erst wieder gewöhnen – geschmacklich kein Vergleich mit Frankreich, dafür aber teurer – schlechte Gleichung! Der Ort zieht im Sommer viele Tourist*innen an und muss völlig überlaufen sein. Jetzt im Winter ist er fast menschenleer, alle Bänke sind frei, die Platanen werden gerade geschnitten, die Gassen bieten pittoreske Blicke und alle Läden sind – wie momentan üblich… – geschlossen. Zu Dalís Zeit war der Ort ein Mekka für Prominente, auch des Surrealismus – ich weiß nicht, ob das heute auch noch zutrifft.

Durch den wildromantischen Parc Natural de Creus nähern wir uns dem gestern besuchten Küstenort Roses, an dem die Steilküste der Pyrenäenausläufer endet, von oben und sind bald darauf wieder in unserem Quartier.


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