Noch immer haben wir keine Nuraghen gesehen, mal sehen, ob sich das heute ändern wird. Jedenfalls ist das Wetter viel besser als in der Vorhersage; es ist ein bisschen windig, hat aber 15 Grad bei weiß-blauem Himmel. Wir wollen in die Gegend südlich von Budoni und östlich von Nuori.
Obwohl wir die Strecke in der anderen Richtung – von Domusnovas kommend – schon einmal gefahren sind, erkennen wir nichts speziell wieder. Vom Wind blank geputzte Berge mit vielen Zacken, die ein bisschen an Südtirol oder das Trentino erinnern, dazwischen weite Täler. Wir sind fast alleine auf der Schnellstraße und kommen gut voran. Nach einer knappen Stunde erreichen wir eines der sog. Tombe dei giganti, der Riesengräber. Vorerst sehen wir nur ein Hinweisschild auf „S‘Ena e Thomes“ und einen Weg, der sich im Gebüsch verliert. Erst später nehmen wir die aus Steinen auf den Boden gelegten Pfeile wahr und stehen nach zehn Minuten auf einmal vor der 370 Zentimeter hohen aufgestellten Eingangsplatte (aus EINEM Stück Granit gefertigt!) und den rings im Halbkreis angeordneten etwa kniehohen Steinen. Seinerzeit war das alles noch monumentaler – wir sehen nur die Reste. Aber dahinter ist es auch eindrucksvoll: ein Gang, früher einmal vollkommen mit horizontal gelegten Steinplatten gedeckt, schließt sich an, in dem die Menschen der Bronzezeit – also vor etwa 3800 Jahren – ihre Toten bestatteten. Sehr beeindruckend!
Ein paar Kilometer fahren wir auf derselben Straße weiter und finden die nächste nuraghische Ausgrabungsstätte „Serra Orios“. Ein kleiner Hund begrüßt und freundlich und begleitet uns auch noch den langen Weg bis zum nuraghischen Dorf mit Tempel und Versammlungsraum. Die Dame an der Kasse bittet uns, nicht auf den ohne Mörtel geschichteten Steinen herumzuklettern. Das käme öfter vor, als wir uns vorstellen könnten – und zwar würden das nicht nur Jugendliche machen…! Unvorstellbar. Wir erwarten kniehohe Steinsockel wie z.B. am Monte Sirai und sind sehr erstaunt, weil die Mauern der Wohnkomplexe, die aus mehreren Rundbauten bestehen, doch etwa unsere Brusthöhe erreichen. Fast könnte man sich in dem Labyrinth verlaufen, auf jeden Fall aber Verstecken spielen, wenn man etwas weniger ernsthaft als wir beide angelegt wäre. Zwischen den meist runden Häusern, die übrigens mit Kork und Wärme speichernden Basaltsteinen gedeckt waren, wachsen Olivenbäume, die Vögel zwitschern, die Sonne blitzt durch das Laub – welch eine Idylle! Die Menschen der Bronzezeit kannten schon Oliven, verschiedene Getreidesorten, benutzten zwei Ochsen unter einem Joch zum Pflügen, aßen Hülsenfrüchte wie Linsen, benützten Werkzeuge wie Sicheln. Der Versammlungsraum ist daran zu erkennen, dass zwei lange, sich gegenüber liegende Steinbänke eingearbeitet sind, der Tempel, weil er in einem abgetrennten, ‚heiligen‘ Bezirk liegt. Wir sind beglückt, uns auf solchem geschichtsträchtigen Boden wieder einmal als einzige aufhalten zu dürfen. Dennoch: einen Nuraghen haben wir immer noch nicht gesehen!
Durch herrliche Landschaft fahren wir – an einem Stausee mit relativ wenig Wasser vorbei – nach Dorgali und finden ein offenes Café für eine kurze Rast. Das nächste Ziel heißt Orosei; hier gibt es etwas entfernt vom Ort auch noch eine Marina gleichen Namens. Die Sonne scheint schon sehr flach, erzeugt lange Schatten, die Wellen überschlagen sich laut, im Hintergrund sieht man die Silhouetten vieler Berge. Ein sehr schöner Strand!
Tom darf nun wieder viele Kurven fahren, was er übrigens liebend gerne tut, weil wir uns für die kleinere Straße entscheiden; die Berggipfel sind wie mit oranger Farbe angestrichen – Alpenglühen, meint Tom. Einmal durchfahren wir praktisch einen riesigen Steinbruch (Orosei Marbles), wo man die Landstraße gerade noch so zu Transportzwecken stehen gelassen hat: links und rechts davon geht es in den Abgrund… Ein ganz hellbeiger Stein wird hier abgebaut, in ‚höchster Qualität‘, wie die Homepage der Firma versichert.
Hungrig und etwas müde laufen wir in Porto Ottiolu ein und haben zum Glück noch fertig zubereitete Reste, die wir nur schnell erhitzen müssen. Mit Artischocken-Creme sowie Brot und Käse lässt sich der Hauptgang rasch zum Menü erweitern. Dass es dazu Wein gibt, ist klar, oder?