Dienstag, 28.11.23: in Palermo – Oper

Zur Vermeidung eines weiteren Verkehrschaoserlebnisses und auch, weil der öffentliche Nahverkehr um 21.30 Uhr eingestellt wird, haben wir uns für eine Nacht ein B&B mit dem klangvollen Namen „Opera buffa“ in Palermo organisiert und deswegen eine kleine Reisetasche gepackt. Zum Bahnhof in Bagheria gefahren, Parkplatz gefunden, Zug bestiegen – und eine Viertelstunde später steigen wir schon in der Stazione Centrale in Palermo aus, von wo aus der Bus 101 Richtung Theatro Massimo startet, in dessen Nähe unser B&B liegt.

Kurz nach dem Einchecken sind wir wieder startklar und geraten ohne unser Zutun in das Getümmel des Mercato del Capo, einem von drei großen täglichen Märkten in Palermo. Hiiiilfe – nicht nur, dass wir kaum durchkommen (und krampfhaft unsere Taschen schützend an den Leib drücken), gefühlt 93 Streetfood-Händler sprechen uns an und wollen uns in ihr Straßenlokal lotsen. Vermutlich hätten wir sogar etwas gegessen, wenn sie uns in Ruhe hätten schauen lassen. Aber so – Fluuuucht! Wir kehren stattdessen in einer Panineria ein; die Italiener sind Meister in der Herstellung wohlschmeckenden Fastfoods, das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.

Fast ums Eck befindet sich die bunte, sog. Muro della legalità, ein Mural, das die Held*innen im Kampf gegen die Mafia zeigt: der Schriftsteller Andrea Camilleri, verschiedenene Carabinieri (auch weiblichen Geschlechts) und natürlich auch die beiden Dottores Giovanni Falconi und Paulo Borsellino, beide federführend im Maxi-Prozess gegen die Cosa Nostra und beide im Abstand von wenigen Wochen durch sie grausam ermordet. Tom sieht auf Google, dass es im Justizpalast ein Museum – ich würde es eher Gedenkstätte nennen – zu ihren Ehren gibt, für das man sich per mail-Formular bewerben muss. Flugs ausgefüllt, gesendet… Wir rechnen uns nicht viele Chancen auf einen Platz aus, aber siehe da – ich greife vor – es kommt gegen 17 Uhr die Zusage für morgen. Wir freuen uns.

Durch verschiedene, mehr oder weniger schmale Gassen, die häufig unordentlich wirken (weil vor vielen Balkonen zum Schutz vor der Sonne Vorhänge flattern) oder – wegen verstreuten Abfalls – auch tatsächlich schmuddelig sind, nähern wir uns der Kathedrale, deren arabo-normannische Apsis-Außenseite uns am meisten beeindruckt. Aber auch der mit der Kirche über einen Bogen verbundene frei stehende Turm sieht schön aus.

Innen allerdings folgt die Ernüchterung: alles klassizistisch (langweilig) und die bedeutenden Königsgräber Rogers II. und Friedrichs II. sind mangels Personal derzeit ab 14 Uhr bereits geschlossen. Wir grummeln etwas, setzen uns in Richtung Königspalast in Bewegung und stehen auf einmal in einer Art Oase: hohe Palmen in einem schönen Park, an dessen Ausgang die Tickets für den Palazzo erworben werden können.

Da die Königsgemächer (Personalmangel…) sowieso im Moment nicht zu besichtigen sind, reicht unsere Zeit für die Pfalzkapelle, die Capella Palatina, die Roger II. so prächtig mit Goldgrund-Mosaiken hat ausstatten lassen. Wir sind überwältigt: Sie ist – was man selten sieht – aus einem Guss und unverändert in Bau und Ausstattung. Von1132 bis 1140 n. Chr. unter König Roger II. im normannisch-arabisch-byzantinischen Stil als Hofkapelle des Palazzo dei Normanni (oder Palazzo Reale) errichtet, strahlt sie bis heute Macht und Pracht aus. In vielen Szenen werden zahlreiche Geschichten aus der Bibel oder Heiligenfiguren abgebildet, dazu Zierbänder in geometrischen Formen und schönen Farben. Wunderschön! Übrigens wurden von 2003 bis 2008 die Kapelle und ihre Mosaiken mit Unterstützung des deutschen Unternehmers und Kunstmäzens Reinhold Würth restauriert. Fast benommen von so viel Goldgeglitzer und bunter Schönheit und Vielfalt taumeln wir nach außen.

Jetzt ist spätestens Zeit für eine kleine Pause in der Horizontalen im „Opera buffa“, bevor dann um 18.30 Uhr die Opernaufführung im Teatro Massimo beginnt. Das Theater – 1997 nach mehr als 20 Jahren (verschleppter) Renovierung mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker wiedereröffnet – erstrahlt im abendlichen Glanz. Unser Reiseführer behauptet zwar, nur die Opernhäuser von London und Wien seien größer, aber das ist eine falsche Information. Vielleicht bezieht er sich auf die Erbauungszeit. Jedenfalls bietet das Theater – nur – an die 1300 Plätze in Parkett und sechs Rängen an, im Münchner Nationaltheater finden dagegen 2200 Gäste Platz. Wir haben Glück: Das Buchungssystem hat uns eine Loge gleich über dem Parkett und ziemlich am linken Rand des weiten Runds zugewiesen, von der aus wir sowohl sehr gut auf die Bühne sehen (glücklicherweise rechtslastig inszeniert!) als auch in den Orchestergraben blicken können. Mit uns in der Loge sitzt noch ein Texaner, offenbar Italienliebhaber, weil er 2023 schon seine zweite Reise nach Italy unternimmt. In der Pause tauschen wir uns über so manches in der Inszenierung verwendetes Symbol oder eine Kostümidee aus. Bellini hat auf dieselbe Story zurückgegriffen, die auch Shakespeare für „Romeo und Julia“ hatte, und nennt seine Oper „I Capuleti e i Montecchi“ nach den beiden im Streit liegenden Familien. Dass Romeo sich am Ende vergiftet, ist keine Überraschung, allerdings hatte ich für Romeo keine Hosenrolle erwartet. Die Mezzosopranistin Maria Kasaeva wird als neuer Stern am Opernhimmel gehandelt und singt hinreißende Duette (bis Quintette) mit den anderen Protagonisten; auch Dirigent, Orchester und Chor überzeugen, manchmal tanzt das Corps de ballet – ich bin am Schwelgen und verlasse das Opernhaus beinahe vor Glück schwebend.

Gleich in der Nähe findet sich ein Ristorante, in dem wir zur satten Seele auch noch den Magen füllen und mal wieder einen Aperol-Spritz trinken. Es ist übrigens ein Märchen, dass nur Deutsche Spritz trinken – wir sehen viele Italiener*innen vor dem auffällig orangefarbenen Getränk sitzen.


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