Von der Nebenstreckenfahrt zur Römischen Villa sind wir beide begeistert: Weite Landschaft in Beige- und Brauntönen, vor allem dort, wo Felder gepflügt wurden, manchmal bizarre, schroffe Felsen oder ganze Felswände wie hohe Mauern, dazwischen viele Rebstöcke, deren Laub zwischen Gelb und Rot changiert, tiefroter Wilder Wein, wo er Halt findet zum Ranken. Manchmal wechselt sich auch halbwüstenähnlicher Charakter mit fruchtbaren Feldern mit laublosen Mandelbäumen oder knackig-grünen Orangen- und Zitronenhainen ab. Auch die Pappeln sind schon gelb, daneben in strahlendem Dauergrün die Schirmpinien und die Aleppo-Kiefern. Der Himmel ist blau wie immer, die Luft klar und angenehm. Mittags hat es 22 Grad. Bisweilen erinnert die Landschaft an die Toskana, dann wieder an die Provence. Von den Schlaglöchern her gesehen – da sind Tom und ich einhellig derselben Meinung – könnte man denken, man befinde sich in Argentinien. Tom nimmt es sportlich und weicht aus, wo er kann, eher Slalom als Riesenslalom…
Auf dem riesigen Parkplatz nehmen sich die paar PKWs winzig aus. Eine Frau spricht uns in der Nähe des Eingangs an, ob wir eine Führung in Englisch oder Deutsch wollen. Kurzes Nachdenken, ja, warum nicht? Es kann nicht schaden, die Geschichte der spätrömischen Villa erzählt und die Bilder privatim erklärt zu bekommen. Maria Grazia ist in Köln aufgewachsen, spricht sehr gut Deutsch und hat eine angenehme Art, Daten und Inhalte zu vermitteln. Die 75 Minuten vergehen wie im Flug; selbst sie betont mehrfach, welch wunderbaren Tag fast ohne Besucher wir erwischt haben. Unterstützt durch ihre Erklärungen, geben wir uns in Stille der Betrachtung der herrlichen Mosaiken hin, die etwa 3500 qm Fläche bedecken.
Maria Grazia weist uns auf die Vielfalt der Farben hin, die Feinheit der Mosaiksteinchen (in den Zimmern der Sklaven und Hausangestellten gröber, bei den feinen und mächtigen Herrschaften immer kleiner); es ist so ähnlich wie bei den Perserteppichen: je mehr Knoten auf einem Quadratmeter, desto wertvoller der Teppich – hier geht es um Material, Farben und Quantität der Steinchen. Fünf Teams an zum Teil nordafrikanischen ‚Bodenlegern‘ sollen 15 Jahre lang geschuftet haben, um die Böden der Villa auszulegen und erzählen von Jagden, wilden Tieren, z.B. auch wie man mit einem Trick ein Tigerbaby fängt, Herkules, Wettbewerben wie Wagenrennen oder einem Sänger namens Aulion. Das Schlafzimmer ziert eine erotische Szene, „absolut jugendfrei“ meint unser Sizilien-Buch: Man sieht nur einen nackten Po. Die berühmtesten Szenen zeigen die sog. Bikini-Mädchen, die mit einer Schiedsrichterin bei verschiedenen Ballspielen und sonstigen Leibesertüchtigungen gezeigt werden. Wer die Villa je bewohnt, ja, ob sie überhaupt jemals benützt wurde, weiß man nicht; nie wurde sie in Texten erwähnt. Die Forscher gehen jedenfalls davon aus, dass der Auftraggeber nach unseren heutigen Maßstäben ein Milliardär mit großer Macht gewesen sein muss, für den Geld keine Rolle spielte. Man vermutet eine Sommerresidenz, deren Bauplan sich grob in zwei Hälften lesen lassen kann: eine öffentliche für den Empfang und eine private. (Bei Interesse bitte selbst Plan auf Wikipedia studieren!)
(zum Betrachten beim Gruppen-Event für bis zu 12)
In dieser Szene wird dargestellt, wie man ein TIgerbaby fängt: Man lenkt die Mutter ab, indem man ihr eine Glaskugel vorwirft. Darin spiegelt sie sich und meint ihr Junges sei noch da, während der Jäger es ihr wegnimmt.
Erfüllt von den wunderschönen Mosaiken und hoch zufrieden begeben wir uns auf den direkten und schnellen Rückweg nach Agrigent, finden auch wieder einen Parkplatz (Toms Kalkül, dass um diese Zeit viele Arbeitnehmer*innen nach Hause fahren, ‚pranzo‘-Zeit, geht genau auf!). Zum Sonnenuntergang sind wir wieder fit genug, um in die schon bekannte Bar aufzusteigen, die wir an diesem frühen Abend mit einem französischen Paar teilen, dem wir einen Tag später an der Bushaltestelle im Tal der Tempel wieder begegnen werden. (Aber das wissen wir noch nicht…) Die bei unserem Metzger eingekaufte Salsiccia mundet zu Reis und Gemüse herrlich, einen kleinen Nachtisch vom örtlichen Konditor gibt es auch noch: mittelgroße Plätzchen aus Mandeln und Pistazien, will heißen: köstliche kleine Kalorienbömbchen.