In der Nacht werden meine Schmerzen so groß, dass ich bereits am Morgen einer Freundin schreibe, dass ich mir heute statt Matera das örtliche Ospedale ansehen werde. Tom fährt mich hin und wartet netterweise auch noch die Registrierung ab, eigentlich auch eine verkappte Triage, weil die Patienten, die beim Pronto Soccorso, der Notaufnahme, Hilfe suchen, nach vier Farben – Ampel und weiß, je nach Dringlichkeitsstufe, eingeteilt werden. Die Farbe wird nicht mitgeteilt, aber am Ende sehe ich auf dem Arztbericht, dass es grün war, was die lange Wartezeit von vier Stunden erklärt. Klar: Kopf, Arm, Beine dran, kein Blut – si, capisco… Aber die insgesamt fünf Stunden plus Röntgenaufnahme ziehen sich, vor allem, wenn einem das Sitzen auf den unbequemen Stühlen Schmerzen bereitet.
So richtig nett ist nur die Krankenschwester im Röntgenbereich, wo ein mir etwas altertümlich erscheinender Apparat mit einigen Geräuschen über mich hinwegrumpelt, aber immerhin bekomme ich die richtige Diagnose: Man erkennt den alten Wirbelbruch von 2009, fragt nach, erzählt dasselbe wie mein Orthopäde in Nürnberg und erklärt, dass beim aktuellen Sturz nichts angebrochen ist. Uff, es ist tatsächlich nur die Contusio, die Prellung des Rückens, die das Internet als so besonders schmerzhaft beschreibt. O…kay… Mit einem Rezept über ein Muskel-Relaxans und ein Opioid im Falle besonderer Schmerzen versehen, melde ich mich bei Tom, der in den fünf Stunden nicht nur eine erste Runde in Matera gedreht hat, sondern auch wieder zu unserer Wohnung im Neubauviertel gefahren ist.
Der erste Eindruck von Matera sei ganz gut, erzählt er mir: Nicht supertouristisch, schließlich leben in Matera, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, doch 60.000 Menschen. Seit Matera 2019 die erste südeuropäische Kulturhauptstadt Europas war, hat allerdings eine Gentrifizierung begonnen. Was bis zu den 50er-Jahren verkommene Wohnviertel der Armen in Höhlen waren, in Sassi genannten Hügeln von Matera, wird nun teilweise luxussaniert. Bei booking.com gibt es Angebote – jetzt im Herbst! – für über 1.000 Euro die Nacht! In den 50er-Jahren geräumt, alle Bewohner*innen an den Rand des Gebiets umgesiedelt und lange einfach liegen gelassen, erhielten die Sassi 1993 den UNESCO-Welterbetitel. Jetzt zahlt der Staat einen Zuschuss für die Renovierung, allerdings mit der Auflage verbunden, dass man auch in den feuchten Kalksteinhöhlengebäuden wohnen muss und sie nicht veräußern darf. Ich weiß noch nicht, ob ich morgen schon zu einem Sassi-Rundgang fähig sein werde, mal sehen – hoffentlich.
Immerhin lerne ich im Apotheker der Farmacia Vivaldi einen Mann kennen, der an der Universität Leuven in Belgien Vorträge über die Verbreitung der Naturheilkunde bei den armen Sassi-Bewohnern gehalten hat und von anderen Kunden respektvoll mit ‚Dottore‘ angesprochen wird. Er blüht auf, als er mit mir Französisch sprechen darf – das liegt ihm mehr als Englisch.
Tom kocht für seine Holde, und wir trinken Rotwein aus kurz vor der Reise bei amazon gekauften, langstieligen Klapp-Weingläsern (aus Kunststoff, mit einem Magnet in der Mitte) – ein Glücksgriff, denn Matera ist schon das zweite Quartier ohne Weingläser – und das in Italien…!!